Perfektes Timing

In den letzten Monaten fielen die obersten Chefs der UBS durch hohe Verkäufe von privat gehaltenen Aktien ihrer Bank auf. Sie wählten durchs Band einen günstigen Zeitpunkt.

Der Mann von der UBS-Marketing­abteilung hatte den sicheren Ge­winn vor Augen. Als die Gerüchte von einem hohen Abschreiber der Bank in den Niederungen seines Grossraumbüros angekommen waren, fasste er sich ein Herz, griff zum Hörer und kaufte ein paar Put-Optionen auf UBS-Titel. Wenn seine vielen Mitarbeiteraktien schon an Wert verlieren würden, wollte er wenigstens einen kleinen Profit mit einer Spekulation à la baisse einheimsen.

Es kam der 1. Oktober, und der kleine Mann von der grossen UBS verstand die Welt nicht mehr. Da beichtete doch sein Arbeitgeber tatsächlich Verluste von vier Milliarden Franken im US-Hypotheken­markt. Doch der Aktienkurs rasselte nicht steil in den Keller, sondern legte zu, von 62 auf 68 Franken in fünf Tagen.

Die Moral von der Geschichte: Der Markt, sprich die gesamte Meinung der weltweiten Investorenschaft, hatte den tie­fen Taucher in der UBS-Rechnung längst in seiner Einschätzung berücksichtigt. Als die Schweizer Grossbank endlich konkrete Zahlen auf den Tisch legte, reagierten die Anleger erleichtert, weil ihre schlimmsten Befürchtungen nicht eingetroffen waren. Sogleich gaben sie das Signal zum Kaufen. Wäre unser vermeintlich informations­privilegierter Mitarbeiter an der Basis seinen obersten Chefs gefolgt, wäre er heute vermögender. Deren private Anlageentscheide trafen in letzter Zeit ins Schwarze. Am 15. November 2006 begannen Mit­glieder der UBS-Konzernleitung und des -Verwaltungsrats einen Ausverkauf eigener Titel, der in den folgenden Monaten ein riesiges Ausmass annahm.

Als Erstes trennte sich ein UBS-Top­shot von 100 000 Optionen im Wert von 3,7 Millionen Franken. Bis zum 20. Dezember folgten vier weitere Verkäufe von Personen der obersten Leitungsebene, die einen grossen Teil ihres Vermögens in Aktien und Optionen ihres Arbeitgebers halten müssen und die Papiere nur zu einem bestimmten Zeitpunkt veräussern dürfen. Zur Überprüfung dieser Regel werden alle Transaktionen solcher Funktionsträger an die Börsenorganisation SWX gemeldet, wo sie öffentlich einsehbar sind.

Allein in den Monaten November und Dezember des letzten Jahres stiessen die UBS-Chefs privat gehaltene Titel ihrer Firma im Wert von über 31 Millionen Franken ab, so viel wie bei Konkurrentin Credit Suisse in den vergangenen zwölf Monaten (siehe «Ein Hort von Händlern» auf Seite 55). Auch danach ebbte die Verkaufswelle nicht ab. Von Spätwinter bis Frühsommer dieses Jahres folgten weitere Verkäufe von UBS-Topshots bis zu einem 12-Monats­Total von 55 Millionen Franken.

Der Finanzmulti steht unter den Grossunternehmen allein auf weiter Flur mit den meisten Eigenhandelsgeschäften der Führungscrew. Mit Abstand folgen die Transaktionen von Managern des Nahrungsmittelriesen Nestlé und jene des Pharmakonzerns Novartis.

Die UBS- Insider verkauften nicht nur im grossen Stil, sondern zeichneten sich im vergangenen Jahr auch als ausgesprochen erfolgreiche Investoren aus – zumindest was ihr eigenes Vermögen betrifft. Die Namenaktie ihres Unternehmens pendelte zur Zeit der ersten Verkaufswelle in den letzten Wochen des Jahres 2006 zwi­schen 71 und 81 Franken, ihrem höchsten je erreichten Stand.

Zu einem zweiten Grossverkauf kam es vom 19. bis zum 21. Februar 2007. Drei UBS- Topshots trennten sich von insge­samt 164 000 Aktien ihrer Firma. Sie erzielten dabei Kurse zwischen 76.84 und 78.10 Franken pro Titel, was im Rückblick immer noch ein stolzer Preis war, ledig­lich fünf Prozent unter dem Allzeithöchst der Aktie.

Besonders vorteilhaft erscheint das ge­wählte Timing der Grossbankenchefs mit Blick auf den kurz darauf erfolgten Absturz. In den Wochen vom 22. Februar bis zum 14. März sackte der Kurs von 76 auf 67.50 Franken ab. Damals wurden in den USA zum ersten Mal die sogenannten Subprime-Hypothekenpapiere illiquide, hinter denen sich das Immobiliengeschäft mit minderbemittelten Hausbesitzern in den USA verbirgt.

Ahnten die UBS-Insider zum Zeitpunkt ihrer Privatverkäufe, dass ihre Bank in einen schweren Sturm geraten würde? Die Verantwortlichen mussten jedenfalls wissen, dass sie im Geschäft mit amerikanischen Zweitklasshypotheken zu den grossen Mitspielern zählten. Am 10. März schrieb die «New York Times»: «Die gros­sen Firmen im Business sind Lehman Brothers, Bear Stearns, Merrill Lynch, Morgan Stanley, Deutsche Bank und UBS.» Nicht mehr die ehemals dominierenden Spar- und Hypothekenbanken besässen den Löwenanteil des US-Hypothekenmarktes, sondern die grossen Investmentbanken von Wall Street mit mittlerweile 60 Prozent des Geschäfts.

Nach dem ersten Orkan erholte sich die UBS-Aktie und lag Mitte April auf 75 Franken. Für die UBS-Führungsriege war offenbar der Moment gekommen, sich ein weiteres Mal von Tausenden von Wertpapieren ihrer Firma zu trennen. Zwischen dem 4. Mai und dem 18. Juni meldete die Bank insgesamt acht Verkäufe ihres obersten Kaders im Wert von 10,9 Millionen Franken. Die Kurse lagen zwischen 78 und 80.05 Franken, nur einen Franken unter dem Rekord.

Kaum begann der Sommer, tauchten die UBS-Titel um ein Viertel auf noch 60 Franken, und erst mit Bekanntgabe des Vier-Milliarden-Abschreibers erholte sich der Kurs wieder. Eigentlich wären jetzt Käufe der UBS-Insider zu erwarten. Dass diese bisher ausblieben, könnte ein Hinweis auf die Schwere der Krise sein. Vielleicht sollte sich der Marketingmitarbeiter mit Zukäufen noch etwas gedulden.


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