Kabale und Liebe

Im Drama um die Kioskbetreiberin Valora stritten: ein vereinsamter Präsident, ein eiskalter Angreifer, ein wankelmütiger Verwaltungsrat und eine prominente Beraterin.

Was vor Wochenfrist wie das Eingeständnis einer absehbaren Niederlage aussah, hatte hinter den Kulissen seit Wochen auf und ab gewogt. Fritz Ammann (64), schillernder und umstrittener Präsident der Berner Kiosk- und Handelsgesellschaft Valora , warf am letzten Tag im

November das Handtuch und tauchte ab. Mit Dank wurde er vom Verwaltungsrat verabschiedet, der noch die schöne Version der Ereignisse kol-portierte, wonach nur eine knappe Mehrheit ihrem Präsidenten die Gefolgschaft verweigert habe. Dabei war alles ganz anders.

Fritz Ammann stand zuletzt einsam, genervt und gefangen in seiner eigenen Sicht der Dinge da. Überall witterte der Mann, der mit seiner Eloquenz, Schlagfertigkeit und Scharfzüngigkeit sein Umfeld zu beeindrucken vermochte, Verrat und Missgunst. Er sah sich als visionärer Kämpfer, der von naiven, opferbereiten Lämmern umgeben war.

Nach seinem Ausscheiden will sich Ammann nicht mehr öffentlich zum Zustandekommen seiner Niederlage äussern. Seine Nachfolgerin, Beatrice Tschanz, die bis zu ihrem bereits früher angekündigten Rücktritt nächsten Frühling das Valora -Steuer übernimmt, spricht von einer menschlichen Tragödie. «Fritz Ammann hat sich Tag und Nacht für Valora eingesetzt. Umso mehr empfand er die zum Teil perfide Kampagne nicht als Kritik von einer wachsenden Schar von Aktionären, sondern als persönlichen Angriff.»

Herausgefordert sah sich Ammann von einem Angreifer, den er nicht als seinesgleichen betrachtete. Für zu unwürdig hielt er diesen im Vergleich mit sich selbst. Es bereitete Ammann fast physischen Schmerz, den Namen seines Gegners über die Lippen zu bringen, und so sprach der Valora -Präsident gerne von «diesem Gipsermeister aus Zürich». Doch der vermeintliche Kleinhandwerker Adriano Agosti, der einst die elterliche Baufirma geerbt hatte, fühlte sich längst zu Höherem berufen.

In den letzten Jahren hat der von Freund und Feind als extrem ehrgeizig beschriebene Agosti mit Financier Tito Tettamanti unterbewertete Firmen in die Zange genommen. Kleine Aktienanteile erwerben, harte Kritik an der alten Mannschaft veröffentlichen – und dann Kasse machen, sei es durch Kurssteigerungen, sei es durch Herauspressen einer Sonderdividende. So funktionierte das hochrentable Geschäftsmodell.

2007 hielt Agosti die Zeit für reif, das von Meister Tettamanti Gelernte selbst anzuwenden. Der Polospieler mit besten Beziehungen zur St. Moritzer Schickeria kaufte sich via Börse mit ein paar Prozenten in die unter schlechten Geschäftszahlen leidende Valora ein, schloss sich mit zwei Trittbrettfahrern zusammen und forderte mit der so übersprungenen Zehn-Prozent-Stimmen-Hürde die Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung. Faktisch einziges Traktandum: Ammanns Kopf.

Das war Ende Oktober. Bereits einen Monat früher war der Streit zwischen der angriffigen Aktionärsgruppe um Agosti und dem Valora – Präsidenten Ammann eskaliert. Der gross gewachsene, intellektuelle Ammann glaubte, einen Verräter in seinem Kreis zu haben. An einer VR-Sitzung Ende September stellte er diesen zur Rede. Felix Weber, einst gescheiterter Finanzchef beim Zeitarbeitsvermittler Adecco und heute Partner bei der US-Investmentbank Lehman Brothers, habe Agosti mit geheimen Informationen versorgt, so Ammanns Vorwurf. Es geht um eine Liste mit den Namen der grössten Valora -Aktionäre, um die Bewertung der zum Verkauf ausgeschriebenen Produktionsstätten, um stille Reserven in der Pensionskasse und um Informationen zur Aufstellung von Valora in klar abgrenzbare und verkaufbare Geschäftsbereiche. All diese Interna habe Agosti einzig und allein von seinem Freund Weber erfahren können, behauptet Ammann .

Weber erklärte den übrigen Verwaltungsräten, dass er Agosti tatsächlich seit seiner Jugend kenne. Die zwei hätten dieselbe Schule im Engadin besucht und träfen sich an St. Moritzer Anlässen. Um nicht länger im Verdacht zu stehen, den Valora -Angreifern in verräterischer Mission Hilfe zu leisten, trat Weber

in den Ausstand. Seit dem Vorfall von Ende September nimmt er nicht mehr an den VR-Sitzungen teil. Ammann plante angeblich, Weber an der nächsten ordentlichen Generalversammlung auszuwechseln.

Agosti lässt über seinen Sprecher ausrichten, er habe mit Felix Weber weder mündlich noch schriftlich geheime Informationen ausgetauscht. Weber will keinen Kommentar abgeben und verweist an Übergangspräsidentin Beatrice Tschanz. Diese nimmt ihren VR-Kollegen Felix Weber in Schutz und erkennt im Rückblick eine Art Realitätsverlust bei ihrem Vorgänger Ammann . «Statt mit kritischen Aktionären das Gespräch zu suchen, sagte er allen Kritikern den Kampf an. Damit verlor er das Wesentliche aus den Augen. Der Präsident und die Verwaltungsräte einer Firma sind allen Stakeholders gegenüber verpflichtet, also Aktionären, Mitarbeitenden, Geschäftspartnern und weiteren. Ohne die Eigentümer hinter sich zu haben, ist man auf verlorenem Posten.»

Sie selbst habe lange Zeit nichts vom breiten Unmut gegen die Amtsführung von Ammann geahnt. Der Präsident habe den Angriff der Gruppe Agosti zur Chefsache erklärt und die übrigen Verwaltungsräte sporadisch informiert. Vor zwei Wochen sei sie aber aufgeschreckt worden, sagt Tschanz. Ihr sei bewusst geworden, dass der Valora -Präsident mit seinem Widerstand gegen die Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung allein dastand.

«Als ich die Anträge dafür auch von einer Schweizer Grossbank und von Schweizer SMI-Firmen zu Gesicht bekam, war mir klar, dass der Vertrauensschwund bei verschiedenen grossen Aktionären Tatsache ist. Ein juristisches Argumentieren gegen eine ausserordentliche GV wurde sinnlos», sagt die neue Valora -Präsidentin. Sie sei sich bewusst, dass sie nun in den Augen ihres Weggefährten Ammann eine Königsmörderin sei. «Mir tut die Entwicklung menschlich leid. Als wir auf ein schlechtes Semesterergebnis zusteuerten, hätte Fritz Ammann auf die grossen Aktionärsgruppen zugehen müssen.» Dies sei nun ihre Aufgabe.

Ammann war offenbar bis zuletzt überzeugt davon, eine Mehrheit im Verwaltungsrat hinter sich zu haben. Statt wie von der Gruppe Agosti gefordert eine ausserordentliche Generalversammlung über sein eigenes Schicksal abstimmen zu lassen, plante der langjährige Unternehmenssanierer eine Vorverlegung der ordentlichen Aktionärsversammlung um einen Monat auf Ende März. Erstens, so Ammann im Valora -VR, würde eine ausserordentliche Sitzung mindestens eine halbe Million Franken Kosten verursachen. Zweitens und entscheidender wäre ein Nachgeben in dieser organisatorischen Frage ein fatales Zeichen der Schwäche. Es bestünde die Gefahr, dass Agosti & Co. auf breite Unterstützung bei den übrigen Aktionären stossen und mit deren Unterstützung mit eigenen Kampfkandidaten den VR erobern könnten.

Wie verbreitet der Unmut im Valora -Aktionariat tatsächlich ist, bleibt offen. Das Agosti-Lager spricht von insgesamt 22 Prozent der Aktionäre, die schriftlich auf eine ausserordentliche Generalversammlung gedrängt hätten. Unter dem Namen seines Anlagevehikels Golden Peaks suchte Agosti das Gespräch mit grossen Valora -Aktionären, wie eine E-Mail von Valora -Verwaltungsrat Paul-Bernhard Kallen vom deutschen Burda Verlag an Präsident Ammann zeigt. «Wir, Burda Medien Vertrieb, und vermutlich auch alle anderen grösseren deutschen Verlage sind von Golden Peaks angeschrieben worden und nach unserer Unzufriedenheit mit Valora -Dienstleistungen befragt worden», heisst es im mit «Lieber Fritz» eingeleiteten Schreiben. Kallen fährt fort: «Man hätte gerne, mit Verweis auf die Verlagskompetenz von Herrn Agosti aus seiner Tätigkeit beim Jean Frey Verlag, mit Burda Medien Vertrieb einen Termin vereinbart, um über diese Probleme und eventuelle Massnahmen zu sprechen.» Kallen dachte in der E-Mail laut über Schadenersatzforderungen wegen geschäftsschädigenden Tuns von Aktionären nach. Ammann nahm den Ball auf und liess von der Valora -Geschäftsleitung die juristische Lage abklären.

Am vergangenen Donnerstag war die Schlacht geschlagen und der Krieg für Ammann verloren. An einer ausserordentlichen Telefonsitzung des Verwaltungsrats einen Tag nach der ordentlichen VR-Sitzung sprach sich eine deutliche Mehrheit dafür aus, Agostis Forderungen zu akzeptieren. Sogar Burda-Manager Kallen soll nicht mehr vorbehaltlos hinter Ammann gestanden sein, heisst es aus Valora -Kreisen. Enttäuscht und wütend klinkte sich Ammann aus. Er befürchtet offenbar, dass Agosti nun freie Bahn für einen Raubzug auf die Firma haben würde. Stille Reserven hervorzaubern, unterbewertete Immobilien verkaufen, Liquidität mittels Sonderdividende abziehen. So wie es Agosti bei Tettamanti gelernt habe, glaubt Ammann . In diesem Fall würde er sich wenigstens zu Recht als weitsichtiger Warner rühmen dürfen – ein schwacher Trost nach einem unrühmlichen Abgang.


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