Grosse Zerlegung

Die «Operation Sulzer» ist die grösste Aktion der Bankenaufsicht: Spezialisten leuchten derzeit jeden Winkel der ZKB aus.

Wenn Marcel Aellen sein Berndeutsch spricht, schiesst einem das Bild des gemütlichen Bürokraten durch den Kopf. Doch der Kadermann der Bankenkommission (EBK), die den Schweizer Finanzplatz sauber zu halten hat, ist kein handzahmer Aufpasser. Vor drei Wochen schickte Aellen der Zürcher Kantonalbank (ZKB), der Neuen Zürcher Bank und dem Zürcher Ableger der Deutschen Bank frühmorgens einen 30-köpfigen Spezialistentrupp ins Haus. Die drei Institute sollen die feindlichen Angreifer der Industriefirma Sulzer möglicherweise mit gesetzeswidrigen Mitteln unterstützt haben.

Alle waren sie überrascht. Dem obersten ZKB-Rechtsvertreter wurde Minuten vor dem Besuch mitgeteilt, er habe den Anwälten und IT-Ingenieuren der beauftragten Revisionsgesellschaft KPMG uneingeschränkten Zutritt zu verschaffen. Für den Schweizer Finanzplatz kommt der Überraschungscoup einer Premiere gleich. «Eine solche Aktion gegen eine grosse Bank im Zusammenhang mit Abklärungen zum Offenlegungsrecht hatte die EBK noch nie angeordnet», bestätigt Aellen. «Sie wurde erforderlich, weil es sich um einen Fall von grosser Tragweite handelt und weil wir mit den Abklärungen auf dem Korrespondenzweg nicht weiterkamen.» Zu Deutsch: ZKB & Co. haben nicht wie gefordert gespurt.

Seit jenem 21. Mai existieren am Hauptsitz des viertgrössten Finanzhauses des Landes zwei Kommandozentralen. Eine erste, die offizielle, befindet sich im fünften Stock, wo Präsident Urs Oberholzer das Sagen hat. Am selben Ort, an der Bahnhofstrasse 9, liegt das andere, inoffizielle Kommandobüro: das Headquarter der Supervisoren.

Das Dutzend Buchprüfer, Finanz- und IT-Profis prüft Dokumente, E-Mails, Konto- und Depotauszüge und analysiert die Veränderungen in den Handelsbüchern der ZKB. All das mit dem Ziel, herauszufinden, ob die Staatsbank und die zwei anderen Banken die Angreifer bei ihrem Sulzer-Angriff mit illegalen Mitteln unterstützten. Der Verdacht, dass die Banken beim Vorstoss mitgemacht hätten, sei begründet, sagt EBK-Mann Aellen. Für den Bankenüberwacher ist undenkbar, dass eine derart grosse Beteiligungsposition ohne Absprachen aufgebaut werden kann. Sobald nämlich ein Investor fünf Prozent einer an der Börse kotierten Firma besitzt, muss er dies melden, damit alle Anleger auf dem gleichen Informationsstand sind. Damit die Bestimmung, die eine Übernahme wegen steigender Kurse für einen Angreifer erschwert, auch tatsächlich greift, dürfen die gekauften Aktien und Optionen nicht auf verschiedene Mitspieler verteilt werden.

Die zentrale Frage bei der «Operation Sulzer» lautet nun: Haben sich die Banken abgesprochen, um im Auftrag des österreichischen Raiders Ronny Pecik und seines russischen Geschäftspartners Viktor Vekselberg das Sulzer-Paket heimlich zu schnüren? Wenn ja: Wer in der Führung hat gewusst, dass das eigene Institut trotz gegenteiliger Aussage mit von der Partie ist? Drittens: Welche Massnahmen und Vorkehrungen wurden gegen dieses verbotene Anschleichen unternommen?

Bereits wenige Tage nach ihrem Einmarsch baten die Prüfer den ZKB-Präsidenten Oberholzer zum Gespräch. Zitiert worden sei er nicht, meint er, der Termin sei im Voraus mit ihm abgesprochen worden und die Befragung fair verlaufen. «Sie wollten hören, was mein Kenntnisstand zu bestimmten Zeiten war und welche Massnahmen ich ergriffen habe», beschreibt der 63-Jährige das Vorgehen. «Diese Leute machen eine seriöse Arbeit, die wir unterstützen. Auch wir wollen wissen, was wirklich gelaufen ist.» Beunruhigt über seine eigene Rolle in der Affäre sei er nicht, sagt er. «Ich weiss, was ich getan habe.» Vielleicht hätte er früher, härter und schneller durchgreifen können, gesteht der einstige Versicherungsmanager und Parteimitglied der SVP ein. Doch im Nachhinein seien alle klüger.

Aus Oberholzers Sicht geriet die Sulzer-Geschichte erst spät aus den Fugen. An einem Sonntag im März fragte ihn ein Mitglied der Sulzer-Konzernleitung an einem privaten Anlass, ob er eigentlich wisse, dass seine Bank entgegen der Aussage ihres Top-Managements an der Jagd der ausländischen Investoren beteiligt sei. «Darauf habe ich sofort das mir unterstellte interne Inspektorat beauftragt, dem Hinweis nachzugehen», sagt er. Am 19. April konnte Oberholzer aufgrund eines ersten Berichts den ungefähren Ablauf rekonstruieren. Damals versicherte ihm ZKB-Chef Hans F. Vögeli, dass dieser in seiner Rolle als operativer Leiter der Bank jegliche Jagd auf Sulzer frühzeitig untersagt habe. Dann, am 20. April, folgte das böse Erwachen, als Pecik und Vekselberg meldeten, 32 Prozent an Sulzer zu besitzen, wovon gut 8 Prozent von der ZKB stammten. Diese hatte sich somit keineswegs neutral verhalten, wie sie es selbst lange behauptete.

Oberholzer war düpiert und forderte weitere Abklärungen, die ihm am Mittwoch, 2. Mai, in Form von Schlussberichten seines Inspektorats vorlagen. Nun erkannte der ZKB-Präsident zum ersten Mal, wie unverfroren seine Händler sich an Sulzer herangeschlichen hatten. Um die Fünf-Prozent-Meldehürde nicht überspringen zu müssen, verschoben diese ein grosses Aktienpaket kurzerhand zu Swisscanto, einem Gemeinschaftswerk der Kantonalbanken, wo der inzwischen entlassene ZKB-Investment-Banking-Chef Hans Fischer das Präsidium innehatte. Drei Tage nach dem späten Aufwachen, an einem Samstagmorgen, forderte Oberholzer seinen CEO Vögeli auf, sich seine Verantwortung zu überlegen. «Am Tag darauf teilte mir Herr Vögeli mit, er trete vorzeitig zurück.» Zwei Wochen später, am Montag früh um 7 Uhr, traf sich die bankinterne Task Force «Sulzer» unter Leitung des Vögeli-Nachfolgers und neuen CEO Martin Scholl zur ersten Sitzung. Aus eigener Kraft und mit eigenen Leuten wollte Oberholzer die Krise analysieren und Schlüsse ziehen. Doch während der Präsident und sein CEO die Aufgaben zur Vergangenheitsbewältigung verteilten, standen schon die EBK-Gesandten auf der Matte.

Laut EBK-Mann Aellen wird auch Oberholzers Rolle zu prüfen sein. Dass es für die Gewähr einwandfreier Geschäftsführung weitere personelle Änderungen brauche, sei nicht auszuschliessen. Auch Oberholzer will nicht mehr a priori zusätzliche Entlassungen von sich weisen. Priorität habe allerdings die Ursachenforschung, nicht die Jagd nach Verantwortlichen.

Bereits droht neues Ungemach aus Bern. Die Eidgenössische Steuerverwaltung nimmt derzeit die ZKB und weitere Banken wegen des sogenannten «dividend stripping» unter die Lupe. Bei diesem Geschäft nehmen die Finanzhäuser über den Zeitraum der Dividendenausschüttung die Aktien eines Ausländers in Gewahr, mit der Absicht, selbst die Verrechnungssteuer zurückzufordern. Weil die Steuerbehörde das wirtschaftliche Risiko aber nicht bei der Bank, sondern weiterhin beim Ausländer sieht, hält sie Steuerrückforderungen von Hunderten von Millionen Franken zurück.

«2006 hat die ZKB durch entsprechende Rückstellungen ausreichende Vorsorge getroffen», heisst es bei der Bank. In Marktkreisen ist von 50 Millionen Franken die Rede, die ausstehenden Steuerrückvergütungen betrügen aber gegen 300 Millionen.

Die ZKB bestellt nun ihre Führung neu. Die Leitungen des Investment Banking und des Asset Management werden möglicherweise mit externen Leuten besetzt. Ebenfalls plant Präsident Oberholzer, die Reputation seiner Bank von Kurt Imhof, Professor der Universität Zürich, überwachen zu lassen, zu dessen Kunden auch die Grossbank UBS zählt. «Professor Imhof und sein Team könnten mich bei der Handhabung von Reputationsrisiken unterstützen», sagt Urs Oberholzer. «Wenn uns das gelingt, sind wir einen grossen Schritt weiter.»


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