David gegen Goliath

Ypsomed verklagt ihren Hauptkunden Sanofi-Aventis und umgekehrt. Jetzt redet Ypsomed-Gründer Willy Michel.

Im Solothurner Industriequartier Ziegelmatt wird wieder in die Hände gespuckt. Hier, wo die Telefonfirma Ascom einst Drahtlosgeräte montierte, rattern heute Dutzende von Spritzgussstationen rund um die Uhr und spucken Diabetes-Injektionspens für Ypsomed aus.

Das Medtechunternehmen ist der weltweit grösste unabhängige Hersteller der Pens, mit denen flüssige Heilsubstanzen dem Körper verabreicht werden. Allergisch reagieren die Schweizer, wenn es um den Schutz ihres geistigen Eigentums geht.

Im Sommer verklagte das börsenkotierte Unternehmen mit einem Umsatz von 277 Millionen Franken die mehr als 100-mal grössere französische Sanofi-Aventis auf die Verletzung von Patenten. Der Gigant beschäftigt 100 000 Mitarbeiter, erzielt 45 Milliarden Franken Umsatz. Auf die Klage reagierte Sanofi kürzlich mit einer Gegenklage.

Bemerkenswert ist, dass sich die Helvetier nicht von ihrem Abhängigkeitsverhältnis mit den Franzosen abschrecken lassen. Das ungebremste Wachstum von Ypsomed war nur möglich, weil die Burgdorfer lange Zeit Exklusivlieferant von Sanofi für ein erfolgreiches Diabetesprodukt waren. Im letzten Geschäftsjahr steuerten die Franzosen 55 Prozent zum Ypsomed -Umsatz bei.

Hauptaktionär Willy Michel (70-Prozent-Beteiligung), der mit Ypsomed zum zweiten Mal fast aus eigener Kraft ein Milliardenunternehmen aufgebaut hat und gemäss BILANZ-Reichstenliste über eine Milliarde

Vermögen besitzt, steht ein besonders schweres Gefecht bevor. Doch gibt er sich siegesgewiss: «Im Unterschied zu Sanofi haben wir nichts zu verlieren.»

Sein Optimismus im ungleichen Kräftemessen fusst auf einer simplen Überlegung. Auch bei Wohlverhalten seitens der Ypsomed würde Sanofi mehr und mehr einen von den Franzosen selbst entwickelten Konkurrenz-Pen einsetzen, um nicht auf Gedeih und Verderb von den Schweizern abhängig zu sein. Zudem stehe viel Geld auf dem Spiel: Sanofis neue Anlage in Frankfurt habe gegen 200 Millionen Euro gekostet, sagt Michel . Die Franzosen kämen aber trotz Eigenentwicklung nicht um die Ypsomed -Pens herum, solange die Nachfrage nach ihrem Erfolgsprodukt Lantus anhalte. Das Diabetesmedikament dürfte, statt der einst erwarteten 400 Millionen Euro, dereinst vier Milliarden erwirtschaften.

Der überraschende Volltreffer erklärt, warum Sanofi bei der Pen-Produktion zur Jahrhundertwende eigene Wege beschritt. Möglicherweise aus Angst vor Produk-tionsengpässen beim kleinen Zulieferer Ypsomed entwickelten die Franzosen den SoloStar, einen eigenen Pen für die Verabreichung ihres Insulinmedikaments Lantus. Offenbar agierten sie lange im Versteckten, was Willy Michel ihnen bis heute nicht verziehen hat. «Wir kennen uns seit Jahrzehnten, haben erfolgreich zusammengearbeitet, und dann haben sie nicht einmal den Anstand, uns ehrlich über ihre Pläne ins Bild zu setzen.»

Gemeinsam mit seinem Bruder, einem Physiker, hatte der ehemalige Chemielaborant der Basler Ciba 1984 das Medtechunternehmen Disetronic gegründet. Als sein Bruder absprang, brachte Michel die Firma an die Börse und verkaufte sie 2003 für 1,2 Milliarden Franken an Roche. Weil diese nur am Insulinpumpengeschäft interessiert war, nahm Michel den Pen-Bereich zurück und schuf daraus Ypsomed . Um das ungebrochene Wachstum im Zuge der Lantus-Bestellungen zu finanzieren, brachte er kurz darauf auch seinen zweiten Start-up an die Börse, wo die Firma heute rund eine Milliarde Franken Wert hat.

Der Ausgang des Streits ist unklar. Falls es zu keiner aussergerichtlichen Einigung kommt, muss das zuständige Düsseldorfer Gericht nächsten Sommer die Frage klären, ob Sanofi mit SoloStar zwei Patente ihres Lieferanten Ypsomed verletze. «Am liebsten wäre uns ein sauberer Lizenzvertrag mit Sanofi», sagt CEO Richard Fritschi , der vor Jahresfrist das operative Steuer übernommen hat. «Wir haben kürzlich mit zwei anderen Kunden solche Abkommen unterzeichnet. Damit können unsere Partner einen eigenen Pen produzieren, und wir erhalten eine faire Entschädigung für unsere Patentrechte.»


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