Das angekündigte Debakel

Bereits im Frühjahr 2002 warnten Risk Managers der UBS vor einem Debakel im amerikanischen Immobiliengeschäft – vergeblich.

Dass es irgendwo auf dem Planeten schwarze Schwäne gibt, konnte sich lange niemand vorstellen. Bis die Vögel eines Tages in Australien entdeckt wurden. 

Auch die Finanzmärkte kennen das Black-Swan-Phänomen. In regelmässigen Abständen stürzt etwas Unerwartetes die Branche in eine Krise. Und regelmässig zeigen sich die Bankmanager bass erstaunt über das scheinbar unvorhersehbare Ereignis. Dabei hätte diesmal die von der derzeitigen Kreditkrise besonders gebeutelte UBS das Schlimmste verhindern können, behaupten Ex-Manager der Bank, die mit den Vorkommnissen vertraut sind. Es handelt sich um Spezialisten des internen Risk Management mit langjähriger Erfahrung im komplexen globalen Derivategeschäft, welche die UBS -Chefetage bereits vor Jahren auf ein schwer kontrollierbares Klumpenrisiko hinwiesen. 

Schon im Frühjahr 2002 erhielten die beiden UBS -Topmanager Walter Stürzinger (damals oberster Risk-Verantwortlicher) und Marco Suter (oberster Kreditchef, heute Finanzchef) eine detaillierte Analyse. Darin hinterfragten die Risk-Profis der Zürcher UBS -Zentrale das Gebaren zweier Abteilungen, die mit amerikanischen Hypothekenpapieren spekulierten. Zu diesem frühen Zeitpunkt wiesen sie konkret auf eine rasant wachsende Position im US-Hypothekenmarkt hin. « PFCA und CRE (Handelsabteilungen, die primär die US-Immobilien verbrieften, die Red.) haben eine riesige Immobilienposition aufgebaut und sitzen inzwischen vermutlich auf einem der grössten Bestände aller Wall-Street-Banken», schrieben die Risk-Spezialisten in ihrer Untersuchung. Es handelte sich um eine Position, aus der drei Jahre später der inzwischen berühmt gewordene interne UBS -Hedge-Fund Dillon Read Capital Management (DRCM) entstehen sollte. Die Bestände, zum Grossteil US-Hypothekenpapiere, hatten aber bereits im Frühjahr 2002 ein grosses Ausmass angenommen. Als die UBS ihren DRCM Hedge Fund 2005 für Drittinvestoren öffnete, wurden jedenfalls jährliche Erträge von über einer Milliarde Dollar ausgewiesen. 

Es war dieser Posten, der in der Folge auf über 40 Milliarden anstieg und der grössten Schweizer Bank heute Rekordverluste beschert. Ende Oktober musste die UBS einen Bruttoabschreiber über 5,6 Milliarden Dollar vornehmen. Denn das US-Immobilienportefeuille ist durchmischt mit minderwertigen amerikanischen Hypothekenpapieren, sogenannten Subprime-Wertschriften. Weitere Verluste bis zu 18 Milliarden Dollar sind nicht auszuschliessen. Marcel Rohner, der als neuer UBS -CEO den Trümmerhaufen wegräumen muss, wäre dann noch stärker gefordert: Der Börsenwert, der 2007 bereits von über 150 auf 100 Milliarden Franken geschmolzen ist, könnte in diesem Fall weiter sinken und die gefährliche Abwärtsspirale der UBS beschleunigen. Eine rasche Liquidierung der Subprime-verseuchten US-Hypothekenpositionen ist wenig wahrscheinlich. Schon vor fünf Jahren, als die UBS erst am Anfang ihrer Odyssee in die Tiefen des amerikanischen Häusermarktes stand, zeigten sich die vorsichtigen Risk-Spezialisten der Bank skeptisch. «Für einen Ausstieg aus den Positionen sind realistischerweise sechs Monate bis ein Jahr nötig», schrieben sie in ihrer Analyse. 

Es war ein Konzernleitungsmitglied, das in der Folge eine vertiefte Analyse forderte. Nun lag der Ball bei jenen beiden Mitgliedern des Topmanagements der Bank, die in letzter Instanz für die Überwachung sämtlicher Risiken zuständig waren: Walter Stürzinger und Marco Suter. Die beiden beauftragten ein international zusammengesetztes Team, die Position im US-Immobilienmarkt erstmals einem harten Test zu unterziehen. Die gewählte Übungsanlage überzeugte die Spezialisten des Risk Management nicht, die als Erste auf das Problem aufmerksam gemacht hatten. Das dem Stresstest zugrunde gelegte Szenario war weniger dramatisch als das ursprünglich vorgeschlagene. Statt eines Einbruchs der US-Immobilienpreise um 30 bis 40 Prozent in wenigen Jahren wählten die Verantwortlichen bloss einen Rückgang um 20 Prozent. Selbst unter diesen Annahmen resultierte ein Verlust von 495 Millionen Dollar, der nur mit Rückstellungen hätte halbiert werden können. 

Beim verschärften Szenario resultierte hingegen schon damals ein Verlust von rund einer Milliarde Dollar, obwohl das Gesamtengagement im US-Hypothekenmarkt 2002 noch weit unter den späteren 45 Milliarden lag. Die Risk Managers empfahlen dem Topmanagement, auf die Bremse zu stehen: «Wir sollten verhindern, dass PFCA (Principal Finance / Credit Arbitrage) und CRE (Commercial Real Estate) weiter wachsen», schrieb ein Manager, der die Bank einige Zeit später zusammen mit weiteren Risk-Spezialisten verliess. Die im Rückblick weitsichtigen Risk-Experten waren nicht nur auf ein schnell wachsendes Klumpenrisiko gestossen, sondern fanden auch einen gefährlichen Siloansatz: Die zuständigen Chefs hatten sämtliche für die Bewirtschaftung solch enormer Risiken notwendigen Fachleute in die eigene Abteilung geholt. So war eine Art Bank in der Bank entstanden, die nun zur Blackbox zu werden drohte. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt stiessen die Risk Managers der Zentrale auf Hinweise, die verdeutlichten, dass sich der Bereich PFCA und CRE vom Rest der UBS abnabeln könnte und die internen Aufpasser bald keinen zuverlässigen Einblick mehr in Grösse und Qualität der Positionen in den Büchern dieser Abteilung haben würden. Die Erfahrung aus früheren Finanzkrisen lehrt, dass solche Silokonstrukte erste Hinweise liefern auf Entwicklungen, die zu Grossverlusten führen können. 

UBS -Sprecher Michael Willi hört zum ersten Mal von Warnungen aus den Reihen des damaligen zentralen Risk Management. «Die heute verlustbringenden Positionen stammen nicht aus dem Jahr 2002», sagt Willi. Bei der jetzigen Krise gehe es um «Wertschriften, denen Hypotheken zugrunde liegen, die zwischen Mitte 2005 und Mitte 2007 – also gegen Ende des Kreditzyklus – vergeben wurden, als US-Hypothekenanbieter ihre Standards zu stark gelockert hatten und Kredite an Schuldner mit schlechter Bonität gewährten». Statt die geistigen Väter des sich beschleunigenden «Immobilienriesenrads» an die kurze Leine zu nehmen, erhielten diese 2005 noch mehr Freiheiten. Der Chef der Investmentbank, John Costas, und sein vermeintliches Finanzgenie Mike Hutchins brachten ihre US-Immobilienposition in den Dillon Read Hedge Fund ein, in der Absicht, Drittinvestoren am Vehikel zu beteiligen. 

Dass die UBS damals versuchte, ein sich abzeichnendes Problem Schritt für Schritt abzuwälzen, dementiert UBS -Sprecher Willi. «DRCM lag die Idee zugrunde, die bis zum damaligen Zeitpunkt höchst erfolgreichen Handelsstrategien im Bereich PFCA und CRE für Kunden über Investmentlösungen zugänglich zu machen.» Das Geschäftsmodell der Profis von PFCA und CRE war im Kern ein einfaches. Sie nutzten auf clevere Art die Ratings der Agenturen für klassische Hypothekenkredite. Durch sogenannte Securization – Hypodarlehen werden in einen Topf geworfen und in Tranchen mit unterschiedlichen Ratings verpackt und verkauft – gelang es den Händlern, minderwertige Kredite in Wertschriften mit dem höchsten Label, Triple A, zu verwandeln. Es handelt sich um eine Form von Arbitrieren (Ausnutzen von Differenzen) der Ratings. Die Agenturen liessen sich nicht zweimal bitten, schliesslich erhielten sie viel Geld für ihre Zertifizierungen. 

Die UBS -Händler waren scheinbar auf eine Goldmine gestossen. Die Quartalsgewinne ihrer Investmentbank lagen ab 2005 bis Mitte 2007 ständig zwischen 1,1 Milliarden und 1,8 Milliarden Franken. Doch für andere Profis waren die Megagewinne lediglich der Vorläufer eines absehbaren Crashs. Hedge- Fund-Manager John Paulson beispielsweise, ein Ex-Investment-Banker von Bear Stearns, setzte ab Frühling 2005 auf rasch wachsende Pleiten amerikanischer Hausbesitzer, die von Banken und Vermittlern zu viel Kredit gegen zu wenig Sicherheiten erhalten hatten. Einer der inzwischen von Bord gegangenen Risk Managers der UBS spricht im Zusammenhang mit dem Subprime-Kollaps von einem voraussehbaren Ereignis. Die UBS widerspricht: Von Vorhersehbarkeit könne keine Rede sein. «Der Kreditzyklus war 2005 sehr günstig, und niemand im Markt hätte damals Positionen im US-Hypothekarmarkt mit einem Kredit-Rating von AAA als riskant bezeichnet», sagt Sprecher Michael Willi. 

Neben cleveren Hedge- Fund-Managern legten auch renommierte Medien den Finger auf den Immobilienboom in den USA. «Das ist die grösste Blase in der amerikanischen Geschichte», schrieb der «Economist» im August 2006. «Inflationsbereinigt stiegen die Immobilienpreise mindestens dreimal so stark wie in früheren Boomphasen.» Das Magazin legte den US-Konsumenten nahe, einen Teil ihres Einkommens auf altmodische Weise in den Sparstrumpf zu stopfen, statt sich wie in den letzten Jahren auf weiter hochschnellende Häuserpreise zu verlassen. «Die Party hat Spass gemacht», schloss der Artikel vor Jahresfrist, «aber sie wird zu Ende gehen müssen.» Zwölf Monate später kam es zum Knall, und viele globale Investmentbanken mussten ihren Aktionären Milliardenverluste beichten. Im dritten Quartal 2007 schrieben sie infolge ihrer Subprime-Spekulationen insgesamt 45 Milliarden Dollar ab. Die Schätzungen für weitere kumulierte Verluste reichen von 100 Milliarden bis 400 Milliarden Dollar. 

Auch die UBS sitzt nach ihrem ersten Taucher vom Oktober weiterhin auf 39 Milliarden Dollar Subprime-Positionen. Nimmt man die aussagekräftigen Subprime-Indizes von Markit als Basis, die seit der Bekanntgabe des UBS -Abschreibers auf 20 bis 70 Prozent gesunken sind, drohen den Schweizern bei einer kritischen Betrachtung weitere Verluste von bis zu 20 Milliarden Franken. Dieser Zahl stehen Gewinne des ersten Semesters von gut sieben Milliarden Franken und geschätzte zwei Milliarden aus der Reservenauflösung für Bonuszahlungen gegenüber. Somit verblieben noch abzuschreibende Verluste von elf Milliarden Franken, die das UBS -Eigenkapital von 48 Milliarden auf 37 Milliarden reduzierten. Die Tier-1-Eigenkapitalquote, mit der die Aufsicht die Solidität einer Bank misst, würde in diesem Szenario auf 8,2 Prozent sinken, deutlich unter die minimal geforderten 9,6 Prozent. Die Aufsicht könnte die UBS zu Dividendenkürzung oder -verzicht drängen, was den Aktienkurs weiter drücken könnte.  Davon will die UBS nichts wissen. «Die derzeit bestehenden Unsicherheiten kann niemand, der aufrichtig kommuniziert, ausräumen», konzediert Sprecher Michael Willi und fährt fort: «Trotzdem – obwohl nicht damit zu rechnen ist, dass die Investmentbank einen positiven Beitrag zum Konzernergebnis leisten wird, sollte UBS als Ganzes im vierten Quartal wieder profitabel sein.» Ob die UBS das Gröbste bereits überstanden hat oder die bisherigen Verluste erst der Anfang eines Grossbrandes darstellen, wird man spätestens Anfang 2008 erfahren. Dann muss die UBS aufzeigen, wie sie ihren 39-Milliarden-Dollar-Subprime-Müllhaufen abzubauen gedenkt.

Widerspenstiger VR

Die Begründung für den Abgang des UBS -CEO Peter Wuffli vergangenen Juli erscheint in neuem Licht. Damals sagte Präsident Marcel Ospel, der VR habe sich entgegen seiner Empfehlung gegen Wuffli als seinen Nachfolger entschieden. Weil es nicht um strategische Aspekte gegangen sei, sei für ihn – Ospel – der Beschluss keine Desavouierung. Heute schreibt die Grossbank Milliarden ab und muss hilflos zusehen, wie ihr Aktienkurs nach unten fällt. Die Vermutung liegt nahe, dass Sergio Marchionne einen ehrenvollen Abgang Ospels verhindern wollte. Der Italo-Kanadier ist Fiat-Chef und gehört seit Frühling dem UBS -VR an. In der Schweiz baute er die Industriegruppe Alusuisse-Lonza und die Genfer SGS um. Der Finanzmann kennt internationale Topbanker, mit denen er sich frühzeitig über die Subprime-Krise besprochen haben muss. Deshalb scheint ein Veto Marchionnes plausibel. Die katastrophale Lage den Aktionären zu beichten, überlässt er bestimmt gerne dem langjährigen UBS -Kapitän. Dann aber ist Ospel nur noch ein Chef auf Zeit, der im kommenden Frühling seinen Nachfolger präsentieren dürfte.


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