Aus dem Flop gelernt

Nach dem Swissair-Grounding war das Image der UBS schwer angeschlagen. Im Bülacher Strafprozess setzt die Grossbank alles daran, dass sich die Geschichte nicht wiederholt.

Mario Corti hatte das Publikum auf seiner Seite. Selbstverständlich habe es Verhandlungen mit Banken gegeben, sagte der letzte Swissair-Chef, als er im Bülacher Strafprozess auf die prekäre Finanzlage der Airline angesprochen wurde. Zum Beispiel mit der Credit Suisse, der Deutschen Bank, der Citibank. Dann fügte Corti trocken an: «Mit einer Bank gab es weniger Gespräche.»

Lautes Gelächter. Dass die UBS gemeint war, begriff jeder der Anwesenden in der Stadthalle. Mit seiner eloquenten, ironischen Art erweckte Corti den Eindruck, dass nicht das Management versagt hatte, sondern dass die Grossbank ein mieses Spiel hinter seinem Rücken inszeniert hatte. In den kommenden zwei Wochen werden die Verteidiger der Angeklagten ihre Plädoyers halten. Cortis Rechtsbeistände werden alles tun, damit sich dieses Bild noch mehr in den Köpfen verankern wird.

Die Version, dass die Swissair einem Komplott unter Führung der UBS zum Opfer gefallen war, erlebt ein fulminantes Comeback. Entstanden ist sie am Dienstag, 2. Oktober 2001 um halb vier nachmittags. Als die Triebwerke der Swissair-Jets verstummten, wurde es laut im Land. Wie ein Donnerschlag hallte der Vorwurf durch die Öffentlichkeit, dass die grossen Geldhäuser der Schweiz dem nationalen Heiligtum den Stecker gezogen hätten.

Insbesondere über der UBS entluden sich Wut und Empörung. Die Medien belagerten die Bankensprecher, die Kunden beschimpften die Bankenberater, und alle fragten sich, wann sich endlich das in den USA weilende Topmanagement vernehmen lassen würde. Die 60 000 Angestellten hatten keine Ahnung, welche Rolle ihre Arbeitgeberin im Drama spielte. So kamen sie zum gleichen Schluss wie das breite Publikum: Die ultrareiche Grossbank hatte die moribunde Airline-Ikone ins Grab gestossen.

Lange hörte man nichts aus der Bahnhofstrasse 45 in Zürich. Was war los in der UBS-Zentrale? Pressechef Michael Willi erfuhr das erste Mal von der Krise, als sie schon nicht mehr zu stoppen war. Er war mit Familie und Freunden für ein paar Tage ferienhalber in die Alpen verreist. Als ihn seine Kollegen schliesslich am Dienstagabend anriefen, schaltete Willi den Fernseher ein. Was er sah, hätte schlimmer nicht sein können. In der Sendung «10 vor 10» sprach UBS-Vize Alberto Togni wie ein grollender Pfarrer von der Kanzel. Sätze wie «Was wir vollbracht haben, hätte niemand anders machen können», sagte der langjährige Weggefährte von UBS-Chef Marcel Ospel, und als ihn Moderatorin Alenka Ambroz wegen der mangelhaften Kommunikation immer stärker in die Zange nahm, trötzelte er offensichtlich ohne das geringste Verständnis für die Aufregung im Land: «Der Herr Ospel hat in Gottes Namen auch noch andere Verpflichtungen.» Da wusste Kommunikationsmann Willi, dass die breite Masse soeben den passenden Kopf für jene gefunden hat, welche die Swissair gemeuchelt zu haben schienen. Willi griff zum Hörer, liess seine Chefs wissen, dass sie selbst fliegen würden, wenn die Stimmung nicht rasch drehe, und eilte an die Zürcher Bankenmeile.

Statt auf eine geölte, auf Hochtouren laufende Maschine stiess der junge Manager auch am Tag eins nach dem Grounding auf das nackte Chaos. Selbst Triviales war ungeklärt. So werweissten die Angestellten der Bank zu dem Zeitpunkt immer noch, um was für eine Art von Krise es eigentlich ging. «Wir brauchten zu lange, bis wir merkten, dass wir und nicht die Luftfahrt im Auge des Hurrikans waren», blickt Willi kritisch zurück.

Weil die eigene Position diffus war, tat jeder, was er gerade für richtig hielt. So verzettelten sich die vielen Kommunikationsspezialisten mit gut gemeinten, aber unfruchtbaren Sololäufen. «Während unsere Mediensprecher mit Lokalradios beschäftigt waren», sagt Willi, «wartete der Chefredaktor des Schweizer Fernsehens stundenlang auf einen Rückruf.»

Eigene Aussagen korrigiert

Mit ihren unkoordinierten Statements verschlimmerten die UBS-Sprecher die Lage. Sie widersprachen sich, mussten ihre Aussagen nach den vielen hektischen Topmanagement-Meetings mehrmals korrigieren und gossen damit Öl ins Feuer. Erst im Verlauf des Mittwochs machte ihre Füh-rung in Hintergrundgesprächen mit einflussreichen Journalisten Swissair-Chef Mario Corti für das Grounding verantwortlich. Am Freitag stellte sich Konzernchef Ospel in der «Arena» des Schweizer Fernsehens dem aufgebrachten Publikum. Mit einer Entschuldigung zu Beginn der Sendung nahm er Kritikern den Wind aus den Segeln. Am Samstag schliesslich, vier Tage nach dem Debakel, trat Ospel im voll besetzten bankeigenen Konferenzsaal Grünenhof in der Zürcher Innenstadt vor die Mitarbeiter. Der meisterhafte Krisenbewältiger konnte die Mannschaft auf seine Seite ziehen. «Am Schluss standen die Mitarbeiter auf und klatschten stürmisch Applaus», erinnert sich Pressechef Michael Willi. «Da sah ich, wie Marcel Ospel erleichtert aufatmete.»

Die UBS hatte die Kurve gekriegt. Doch der Schock sass tief. In den darauf folgenden Monaten liess Willi das kommunikative Debakel von einer spezialisierten Forschungsstelle der Universität Zürich durchleuchten. Deren Medienauswertung ergab, dass das Image der Grossbank in der ersten Oktoberhälfte 2001 auf einer Skala von 0 bis -100 zwischen -60 und -40 oszillier-te. Erst gegen Ende Oktober näherte sich der Wert wieder dem Null-Ausgangspunkt des Vormonats. Der Taucher beim Renom-mee hatte auch finanzielle Konsequenzen. Zahlreiche Kunden zogen in den Wochen nach dem Grounding Vermögen ab.

Laut Michael Willi hatte damals das so genannte Erwartungsmanagement versagt. «Alle wussten, dass das Unternehmen Swissair nicht mehr zu retten war. Das und die genauen Pläne zur Rettung der Schweizer Luftfahrt hätten wir im Vorfeld deutlicher kommunizieren müssen.» So aber habe es «ganz falsche Erwartungen» darüber gegeben, was in der nahen Zukunft geschehen würde.

Nur nicht abwarten

Erwartungsmanagement lautet das Zauberwort in der Public-Relations-Branche, dieser Industrie der «öffentlichen Beziehungen». Bob Leaf von der weltumspannenden Kommunikationsagentur Burson-Marsteller sagt, dass Firmen ein Ereignis nicht abwarten dürfen, um im Nachhinein darauf zu reagieren. «Dann befinden sie sich bereits in der Defensive.» Das Erfolgsgeheimnis sei, potenzielle Grossereignisse zu definieren, bevor sie auf die eigene Organisation einwirken. «Auf diese Weise kann man sie mit einem bereit stehenden Massnahmenplan öffentlich adressieren, statt unter Beschuss überstürzt in die Gegenoffensive gehen zu müssen.»

Ein berühmtes Beispiel für fehlendes Erwartungsmanagement ist der Babymilch- Fall von Nestlé. Der Nahrungsmittelmulti geriet weltweit unter Druck, nachdem Non-Profit-Organisationen Babymilch-Produkte als gesundheitsschädigend angeprangert hatten. 1980 schrieb Nestlé-Vize Ernest Saunders seinem Chef Arthur Fürer: «Wir müssen dringend eine Gegenpropaganda auf die Beine stellen mit einem Netzwerk von Beratern, welche über die Babyernährung in den Entwicklungsländern Bescheid wissen und Artikel in der Presse platzieren können.» Nestlé verpflichtete für vier Jahre einen hoch bezahlten PR-Guru, bis der Boykott endete.

Auch Schweizerhalle ging in die Annalen der PR-Flopps ein. Am 1. November 1986 verbrannten 500 Tonnen Chemikalien, Giftstoffe flossen mit dem Löschwasser in den Rhein, fast der gesamte Fischbestand verendete. Statt sofort vor die Kameras zu treten, das Unglück zu bedauern, sich bei der betroffenen Bevölkerung zu entschuldigen und einen Massnahmenplan zur Wiedergutmachung vorzustellen, liess sich die Sandoz-Führung eine Woche lang nicht vernehmen. So wurde Schweizerhalle zum zweifachen Debakel. Sandoz zog die Lehren aus dem Fall. Die später aus dem Pharmaunternehmen hervorgegangene Novartis ist bekannt dafür, dass sie jede öffentliche Kritik durch offensive Kommunikation im Keim zu ersticken versucht.

Das versucht heute auch die UBS, die nach dem Swissair-GAU über die Bücher gegangen ist. In einer schriftlichen Aufarbeitung hält Medienchef Willi zuhanden der Bankenleitung fest, dass die UBS nie mehr einen radikalen Strategiewechsel vornehmen soll, ohne die Kommunikationsleute frühzeitig ins Boot zu holen. Auch personelle Massnahmen schlägt Willi in seiner Analyse vor. «Eine Alternative zu Marcel Ospel als Identifikationsfigur für die UBS in der Schweiz wäre zu diskutieren», hält er fest. Der Ruf der Bank sei zu stark vom Renommee ihres obersten Chefs abhängig – ein Problem, das bis heute freilich nicht gelöst ist.

Willi fordert auch die Einsetzung eines «Krisenmanagers» und eine aktive Kommunikation von Beginn an: «Besser irgendetwas sagen, als einfach abzutauchen.» Zudem brauche es eine Klassifizierung der Journalisten nach deren Wichtigkeit. Der Kontakt zu den meinungsbildenden Medienleuten müsse vermehrt gepflegt werden. «Nicht mit Apéros, sondern durch überzeugende Gespräche.»

Laut dem Zürcher PR-Profi Klaus Stöhlker hat die UBS ihr Image dank «Ospels goldenem Händchen» korrigieren können. Die finanziellen Engagements für die Seglercrew von «Alinghi» und die Ausstellung Tutanchamun hätten der Bank dabei viel mehr geholfen als alle übrigen Aktivitäten. Trotzdem sieht Stöhlker Handlungsbedarf. «Vor allem in der Marketing-Kommunikation sehe ich Schwächen, da holt die Credit Suisse rasch auf.» In Sachen Öffentlichkeitsarbeit jedoch habe der Fall Swissair die Bank wachgerüttelt.

Auch im Swissair-Prozess in Bülach: Die Kommunikationsleute von PR-Chef Michael Willi stellten bereits am Tag von Mario Cortis Philippika ausgewählten Journalisten ein 19-seitiges Hintergrunddokument zu. Sogar Worte des Bedauerns finden sich darin. «Die totale Stilllegung der Flotte am 1. Oktober und die dadurch ausgelösten Emotionen haben wir nicht gewollt und haben uns betroffen gemacht.» Nur das Datum des auch für sie selbst schicksalhaften Tages bringt die UBS noch nicht ganz auf die Reihe. Das Grounding war nicht am 1. Oktober 2001, sondern am Tag danach. «

Die Hosen runterlassen

Harold Burson ist der «Elder Statesman» der PR-Branche. Der Amerikaner über die Definition von Wahrheit, Sex im Büro des US-Präsidenten und die richtige Art Entschuldigung.

Facts: Mr. Burson, es gibt keinen anderen Weg, als die Wahrheit zu sagen. Stimmt diese Aussage für Ihr Geschäft?

Harold Burson: Absolut. Insbesondere nega-tive Vorkommnisse soll man zu einer One-day-Story machen. Das Schlimmste ist, wenn man einen Teil zugibt, und zwei Tage später kommt noch mehr heraus. Die Geheimnisse werden gelüftet, weil es immer jemanden gibt, der die geheime Infor-mation kennt. Also: Get it over in one day.

Facts: Lügen ist doch menschlich.

Burson: Viele grosse Firmen mussten ihre Lektion lernen, als sie statt einer Eintagsgeschichte einen Fortsetzungsthriller erlebten. Heute nehmen CEOs den Rat von Leuten wie mir eher entgegen. Sie merken, dass die Medien härter, schneller und brutaler vorgehen als früher. Schliesslich will jeder seinen Anteil an der News.

Facts: Wie soll ein Topshot schlechte Nachrichten an die Öffentlichkeit bringen?

Burson: Eine gute Story in der richtigen Zeitung zu haben, ist gescheiter, als überall präsent zu sein. Die anderen kommen dann schon, wenn die Geschichte zieht.

Facts: Verzeiht das Publikum Fehler?

Burson: Und wie! Besonders das amerikanische. Es liebt es, wenn wichtige Leute die Hosen runterlassen und alles zeigen. Dann lässt es sie mit ihrem Leben ziehen. Hätte Nixon die ganze Geschichte erzählt – auch die Gründe, weshalb die Tonbänder verbrannt wurden -, hätte er seine Präsidentschaft wohl absitzen können. Er erhielt diesen Rat, allerdings nicht von mir.

Facts: Bill Clinton sagte auch nicht die ganze Wahrheit.

Burson: Seine Definition von Wahrheit unterscheidet sich tatsächlich ein wenig von jener des durchschnittlichen US-Bürgers. Oralsex ist kein Sex, ha! Aber er hat einen grossartigen Job gemacht.

Facts: Er versuchte, sich rauszuschwatzen.

Burson: Ach, die Journalisten wussten auch, was John F. Kennedy tat. Aber die Bedienung der Medien, vor allem der Fernsehsender, ist immer wichtiger geworden. Alle wollen Sensationen – Sex, Politik, Alkohol. Die Lösung lautet: alles offenlegen und sich entschuldigen. Dann muss man schon etwas sehr Schlimmes getan haben, um gehängt zu werden.

Facts: Bei Ihnen lernt man, sich zu entschuldigen?

Burson: Ja. Aber es muss ehrlich gemeint sein. Das Publikum ist klug genug, Zyniker zu durchschauen.

Facts: Politiker oder Manager – wer befolgt Ihre Botschaft stärker?

Burson: Manager. Sie können nicht wie Politiker im Wahlkampf viel versprechen und wenig halten. Wenn sie ein Produkt mit übertriebenen Erwartungen lancieren oder zu optimistische Gewinnvorhersagen machen, kaufen die Leute den Artikel nicht oder stossen die Aktie ab.

Facts: Ihre Firma Burson-Marsteller startete vor über 50 Jahren mit 5 Leuten, heute beschäftigt Ihre Firma 2000 Mitarbeiter. Wo endet der Boom?

Burson: 2000 ist nicht riesig, wenn man überall tätig sein will. Die Multinationals oder grossen Auditfirmen wie PwC oder Deloitte haben 100 000 Angestellte, bei Werbefirmen können es 10 000 sein.

Harold Burson, 85, gründete 1953 die PR-Agentur Burson-Marsteller und leitete sie bis 1988. Heute ist sie die weltweit grösste und gehört dem Werberiesen Young & Rubicam.


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