Alles Unschuldslämmer?

Das Versteckspiel der ZKB um Sulzer-Aktien soll nicht das Werk Einzelner gewesen sein. Nun weitet die EBK ihre Untersuchung aus.

Ich sah nichts und hörte nichts was also hätte ich tun können? Nichts. Dies war im Kern die Antwort von Urs Oberholzer, Präsident der Zürcher Kantonalbank (ZKB), als ihn die Bankenkommission (EBK) im Frühling zum Fall Sulzer befragte.

Überzeugen konnte er die Ermittler nicht. Sie weiten nun ihre Untersuchung aus, um zu klären, was die involvierten Stellen der ZKB bis hinauf ins Präsidium rund um das Versteckspiel beim Sulzer-Angriff wussten und wofür sie grünes Licht gaben.

Zur Erinnerung: Die ZKB hatte insgeheim vier Prozent Sulzer-Aktien zu einem Schwesterinstitut verschoben, um das eigene Mitmachen bei der Übernahmeattacke auf ihre Kundin zu kaschieren.

Die Bank bestätigt die Ausweitung der EBK-Untersuchung. «Seit August führen die Ermittler eine zweite Befragungsrunde mit unserer Geschäftsleitung und Exponenten des Handels durch», sagt ZKB-Sprecher Urs Ackermann gegenüber der BILANZ. Inhaltlich wollte er zu den neuen Vorwürfen keine Stellung nehmen.

Die vertieften EBK-Abklärungen verzögern den Schlussbericht, der ursprünglich für Sommer geplant war. Es werde sicher Spätherbst, sagt Marcel Aellen von der EBK. Die Zeit sei nötig, um abzuklären, ob die ZKB-Chefetage «eine mögliche Auslagerung hätte erkennen sollen und melden müssen».

Mit der Ausweitung der Untersuchungen droht die These von ein paar ungehorsamen Händlern zusammenzukrachen. Zum Vorschein käme stattdessen eine Risikokultur, die Tricks und Betrügereien ermöglicht haben soll, solange nichts passierte.

Just diesen Eindruck wollte Bankpräsident Oberholzer verhindern. Von seinem Eckbüro mit Blick auf den Zürichsee und die nahe Nationalbank aus entwickelte der Infanterieoberst einen Schlachtplan, der eine klare Linie zwischen sich und die operative Spitze ziehen sollte. Demnach hätten allein die Manager den Sulzer-Angriff zu verantworten.

Vollends rein wusch sich der Bankpräsident an einer internen Veranstaltung vom 5. Juni. Damals verriet Oberholzer dem verunsicherten Kader, dass nicht politischer Druck seinem CEO Hans Vögeli den Kopf gekostet habe, sondern ein privater Sulzer-Optionsdeal. Mit Wertpapieren einer Firma privat zu spekulieren, während er seiner Bank verboten habe, diese anzugreifen das gehe zu weit, sagte Oberholzer (siehe BILANZ 12/2007). Der ZKB-Präsident war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Danach waren die Karten verteilt: Vögeli, der inzwischen einen sogenannten Gewährsbrief der EBK erhalten hat und sich jede Tätigkeit in der Finanzbranche vorgängig bewilligen lassen muss, war der Abzocker, Oberholzer der Ausmister. Clever nutzte Letzterer das Momentum und machte den gefallenen CEO auch noch wegen eines 130-Millionen-Abschreibers für Steuerhinterziehung verantwortlich.

Passieren konnte dem Präsidenten nicht viel. Wer hätte auch dem abgehalfterten Vögeli noch glauben wollen?

Doch die Geschichte könnte die vermeintlichen Unschuldslämmer schon bald einholen. Die Missachtung von gesetzlichen Vorschriften habe nämlich bei der ZKB quasi zum Courant normal gehört, legen Aussagen des ausgeschiedenen Investment-Banking-Chefs Hans Fischer nahe. Der sportliche 61-Jährige stand vor der Frühpensionierung und freute sich auf einen krönenden Karriereabschluss. Doch Ende April erfuhr er nichtsahnend zu Hause vor dem Fernsehschirm von seiner vermeintlichen Hauptschuld im Fall Sulzer und seiner sofortigen Freistellung. Offiziell schweigt Fischer, doch privat lässt er seiner Wut freien Lauf. In einer organisierten Bank sei es unmöglich, eine so grosse Position aufzubauen, ohne dass alle übrigen entscheidenden Stellen davon wüssten, sagt er unter Vertrauten.

Fischers Version erhält Sukkurs von einem Mitglied des Bankrats, das auf Anonymität beharrt und die Informationslage rund um die umstrittene Auslagerung des Sulzer-Aktienpakets wie folgt zusammenfasst: «Lange hiess es, wir seien unter fünf Prozent, so wie das Hans Vögeli im Herbst 2006 angeordnet hatte. Im März erfuhren wir dann, dass wir noch ein Paket bei Swisscanto hielten. Sowohl der Handel als auch der Rechtsdienst versicherten uns aber, dass es sich um eine · praxisgängige Umgehung ohne Meldepflicht handle.»

Präsident Oberholzer wollte die Vorgänge à fond abgeklärt haben. Am 19. April habe das ihm unterstellte Inspektorat die Auslagerung bestätigt und sich der Meinung von Handel und Rechtsdienst angeschlossen, wonach die ausgelagerten Aktien nicht gemeldet werden müssten. «Am Tag darauf hiess es, dass wir 8,5 Prozent an Sulzer hätten», fährt der Bankrat fort. «Da verstanden wir überhaupt nichts mehr.»

Trifft dies zu, bestätigt der ZKB-Verantwortungsträger mit seinen Aussagen unbeabsichtigt, dass die gesamte Führungscrew bis hinauf ins Präsidium die Verschiebungsaktion weit im Voraus gekannt und auch gebilligt hat. Überrascht war sie einzig, dass die 8,5 Prozent an Sulzer zum Vorschein kamen. Das geschah, als die angreifenden Investoren, der Österreicher Ronny Pecik und der Russe Viktor Vekselberg, ihre bei verschiedenen Banken gegen Sulzer aufgebauten Aktien- und Optionspositionen einsammelten. Nun blieb der Bank keine andere Wahl, als das gesamte Paket zu melden.

Die ZKB, so wäre zu schliessen, verfügt erstens über eine Risikokultur, bei der sich Fachbereiche bei der Umgehung gesetzlicher Vorschriften gegenseitig schützen. Zweitens hat die Leitung keine Diskussion über die grössten Positionen geführt. Drittens ist die Bank am Gängelband von Spezialisten. Diese hätten die illegale Transaktion durchgewinkt.

Eine solche Kultur des Schummelns und Tricksens würde der EBK viel stärkeres Bauchweh bereiten als ein paar Betrüger und Versager. Während man Letztere entlassen kann, zeigen sich komplexe Gebilde oft resistent gegen Veränderungen. Sündenböcke und hehre Versprechen sind nur Scheinlösungen, für einen echten Kulturwandel wären Spitzenkräfte von aussen wichtig. Doch wenn es nach der Mehrheit des Zürcher Kantonsrats geht, soll das ZKB-System bleiben, was es ist. SVP und SP, die zusammen das Sagen haben, lehnen tief greifende Reformen kategorisch ab.

Dabei, so der Zürcher Bankenprofessor Hans Geiger, sollte die ZKB schleunigst privatisiert werden. Als börsenkotiertes Unternehmen hätte die Bank durch die Sulzer-Wirren zehn Prozent oder rund eine Milliarde Franken an Wert verloren, und der Druck der Investoren hätte zu scharfen Massnahmen geführt. So aber wurden lediglich drei Manager in die Wüste geschickt und durch interne Leute ersetzt.

Noch offen ist die Wahl des Chief Risk Officer (CRO), dessen Position laut ZKB eine zentrale Konsequenz aus dem Sulzer-Debakel ist. Wie bei der UBS und anderen Grossbanken soll der CRO direkt dem Konzernchef unterstehen. Vieles deutet darauf hin, dass auch hier kein Externer und ebenso wenig ein unbelasteter Interner den Zuschlag erhält, sondern jener Mann, der beim Sulzer-Deal, so scheint es zumindest, beide Augen zuhatte. Die Rede ist von Philipp Halbherr, seit 1995 zuständig für den Aufbau moderner Risikosysteme bei der ZKB und seit 2005 deren Finanzchef.

In seiner Funktion musste Halbherr die Versteckaktion mit dem Sulzer-Paket gemeinsam mit dem Rechtsdienst und dem Inspektorat für korrekt befunden haben. ZKB-intern gilt er nach wie vor als Star. «Die Risikomessung und -überwachung war bei sämtlichen Optionsgeschäften nie in Frage gestellt», lobt Sprecher Ackermann den Finanz- und Riskchef. Auch die Professoren Hans Geiger und Martin Janssen halten grosse Stücke auf Halbherrs theoretisches Rüstzeug. Fragen zu seiner Rolle im Sulzer-Deal und den Mängeln in der Risikoüberwachung will der ZKB-Riskchef allerdings keine beantworten und verweist an die Pressestelle.

Dabei musste Halbherr klar sein, dass seine Bank auch nach der Auslagerung des Sulzer-Pakets formell dessen Eigentümerin geblieben war und damit für eine Position in der Höhe von nicht weniger als einer halben Milliarde Franken das Kursrisiko trug. Als Depotbank der Anlagestiftung Swisscanto, die den Kantonalbanken gehört, konnte die ZKB die Sulzer-Titel auslagern, obwohl diese für die Ausleihe nicht geeignet waren. Sulzer zählen nicht zu den hoch kapitalisierten Werten der Schweizer Börse, und eine Liquidation des Vier-Prozent-Pakets hätte bei üblichen Volumina sage und schreibe 77 Tage beansprucht.


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