«Wirtschaftsführern fehlt es an Solidarität»

Der renommierte Schweizer Bankier und Vizepräsident von Novartis, Hans-Jörg Rudloff, spricht über den Toplohn von Daniel Vasella, den Ausverkauf der Heimat und den drohenden Zusammenbruch der internationalen Kreditmärkte.

Herr Rudloff, kennen Sie die Bedeutung Ihres Namens?

Hans-Jörg Rudloff: Er kommt aus dem Altgermanischen und heisst «Sohn des Rudolf».

Er bedeutet «ruhmreicher Wolf».

__ Umso besser.

«Böser Wolf» könnte auch passen. Die Aktionärsschützerin Ethos wollte Sie aus dem Novartis-Verwaltungsrat werfen.

__ Man hat auf meine Funktion geschossen (Rudloff ist zuständig für die Managemententlöhnung bei Novartis; Anmerkung der Redaktion). Das war wohl kaum persönlich gemeint, sondern mehr auf den gesamten Verwaltungsrat ausgerichtet. Zufällig stand meine Wiederwahl an.

Sie erhielten 91 Prozent der Stimmen. Zufrieden?

__ Gemeint war wohl eben der VR als Gremium. Der Verwaltungsrat bei Novartis analysiert, hinterfragt, diskutiert und agiert solidarisch, sobald ein Konsens gefunden ist.

Novartis-Präsident Daniel Vasella erhielt 93 Prozent der Stimmen. Legitimiert das seine 44 Millionen Jahresentschädigung?

__ Diese Zahl muss man im richtigen Licht sehen. Über 90 Prozent der Entschädigungen sind erfolgsabhängig und werden zum allergrössten Teil in Form von Aktien oder Optionen zugeteilt. Die Aktien sind für zehn Jahre gesperrt und können daher nicht zu heutigen Marktwerten gerechnet werden. So sehen es auch die Steuerbehörden und benützen einen bedeutend tieferen Wert.

Wie viel ist denn nun der korrekte Wert?

__ Genauso viel, wie wir im Geschäftsbericht ausweisen: 21 Millionen Franken. Damit hat Herr Vasella seine persönlichen Vermögensverhältnisse voll an die Entwicklung der Novartis-Aktie gebunden. Das führt zu einer Identifizierung mit den Zielen aller anderen Aktionäre.

Die Frage, ob diese Entschädigung durch die Leistung legitimiert ist, bleibt offen.

__ In vielen Bereichen der Finanzwirtschaft und Industrie sind die erfolgsabhängigen Vergütungen stark gestiegen. Wir befinden uns in einer Periode grösster Vermögensschaffung. Das ist der Fall in der Biotech und in anderen Industriezweigen, in Private Equity und Hedge Funds, in der Vermögensrealisierung durch IPO oder in anderen Methoden, wo Erfolg und Kenntnisse in Geldwerte umgemünzt werden. Auch Manager schaffen Vermögen in ihren Firmen. Globalisierung, Deregulierung, Liberalisierung, Konkurrenzierung und die technische und wissenschaftliche Entwicklung stellen viel höhere Anforderungen an Unternehmen und zwingen alle, weltweit tätig zu sein und zu wachsen. Sonst riskieren sie, den Anschluss zu verpassen.

Richtig messbar bleiben die Leistungen der Verantwortlichen nicht.

__ Da täuschen Sie sich. Wir sind erfahren genug, um zu vergleichen und zu messen. Dazu verfügen gut geführte Unternehmen über klare Kriterien, die Erfolg oder Misserfolg ausdrücken. Misserfolg soll nicht und darf nicht belohnt werden.

Der Novartis-Aktienkurs stagniert seit Jahren, trotzdem verdient der Chef doppelt so viel wie jener von Roche mit besserer Performance.

__ Erstens ist die Vergleichbarkeit von Bonus- und Salärsystemen zweier Unternehmen praktisch unmöglich. Zweitens hinken Vergleiche zwischen den Börsenkursentwicklungen sehr oft, sind diese doch vielfach durch Sonderentwicklungen beeinflusst. Unsere Aufgabe im Verwaltungsrat und in seinen Gremien ist es, sauber definierte Prozesse und Transparenz sicherzustellen, nicht aber gesellschaftspolitische Diskussionen zu führen.

Und was denkt der Staatsbürger Hans-Jörg Rudloff über den Versuch, die Managerlöhne zu beschränken?

__ Als Bürger finde ich es normal und notwendig, dass diese Themen diskutiert werden, ob positiv oder kritisierend, ist unerheblich. Der Komplex ist von gesellschaftspolitischer Brisanz. Aber es ist wichtig, nicht zu individualisieren, sondern sachgerecht zu argumentieren.

Sind wir ein Volk von Neidern?

__ Auch in London erhitzen sich die Gemüter über die Boni der Investment Bankers und Wirtschaftsführer. Regierungsmitglieder schlagen jetzt zum Beispiel vor, dass alle Zahlungen über einer Million Pfund von einer stark progressiven Steuer erfasst werden. In London betrifft das eine so grosse Anzahl von Managern und Bankern, dass die Diskussion nicht auf einzelne Köpfe abgestützt ist. Dies kommt nur vor, wenn Misserfolg disproportional entschädigt wird.

Mag die Schweiz einfach keine Supermänner wie Vasella, Ospel, Brabeck und andere mit ihren Superlöhnen?

__ Es ist sicher, dass ein Land wie die Schweiz mit ihrer grossen Mittelklasse auf Ausgleich bedacht ist. Wir sind ein Bundesstaat, der Konsens erfordert. Eliten waren uns immer suspekt, im Gegensatz zu Ländern wie Frankreich und England.

Also passen die hohen Managerlöhne nicht zur schweizerischen Tradition?

__ Das wird sicher so empfunden. Doch die Realität der wenigen weltweit führenden Unternehmen schweizerischen Ursprungs ist eine andere. Firmen wie die beiden Grossbanken, Novartis und Nestlé müssen sich den globalen Herausforderungen stellen. Es gelten daher nicht schweizspezifische Kriterien, sondern die Rahmenbedingungen, die auch für die anderen 50 bis 75 globalen Firmen angewendet werden. Die amerikanischen Wissenschaftler bei Novartis messen sich an den Verhältnissen von Pfizer und nicht an jenen vom Impfinstitut in Bern.

Warum rechtfertigen Vasella und Ospel ihre Saläre nicht vehementer?

__ Sie bestimmen ihre Boni ja nicht selbst, also müssen sie diese auch nicht begründen. Was mir dagegen auffällt, ist der Mangel an Solidarität unter Schweizer Wirtschaftsführern, die sich bemüssigt fühlen, absolut unpassende Bemerkungen über die Boni ihrer Konkurrenten zu machen.

An wen denken Sie?

__ Da gibt es viele. Es ist nicht an mir, mit dem Finger auf diese zu zeigen. Aber grössere Zurückhaltung wäre sicher angebracht. Es kann nicht verwundern, wenn sich bei solchen Auseinandersetzungen immer weniger Schweizer für die Führung von hiesigen Unternehmen zur Verfügung stellen wollen und ihr Glück im Ausland versuchen.

Und umgekehrt, wie zuletzt der Amerikaner Brady Dougan als neuer Chef der Credit Suisse. Ist das ein Problem?

__ Unabhängig von der Person und der CS wird das als eine unglückliche Entwicklung empfunden. Aus dem ganz einfachen Grund, dass sich Ausländer per definitionem nicht im gleichen Mass mit Schweizer Verhältnissen identifizieren, wie das überall lauthals gefordert wird. Verstehen Sie mich nicht falsch: Das heisst noch lange nicht, dass wir uns Ausländern gegenüber verschliessen sollen. Im Gegenteil, viele dieser Führungspersönlichkeiten tragen zur Erneuerung und zum Fortschritt bei. Aber selbstverständlich haben sie ihren Lebensmittelpunkt im Allgemeinen in anderen Ländern, und lokale oder regionale Verwurzelungen bestehen nicht.

Vielleicht gibt es nicht genügend fähige Schweizer für die Topjobs?

__ Es gibt haufenweise gute Schweizer. Aber die wollen sich vielleicht nicht mehr tagtäglich der Diskussion um Erfolg, Misserfolg und hohe Boni stellen. Sie können zu einer Private-Equity-Firma oder einem Hedge Fund gehen, dann verdienen sie das Drei- oder Fünffache mit einem Zehntel der Verantwortung.

In den Schweizer Industriefirmen sind derzeit Österreicher und Russen am Werk. Ist das der Ausverkauf der Heimat?

__ Der Verkauf von Schweizer Firmen an ausländische Unternehmen findet seit langer Zeit statt und ist natürlich ein Teil der allgemeinen europäischen Integration. Diese Integration wird im Allgemeinen positiv kommentiert, es wird aber immer wieder übersehen, dass mit dem Verkauf auch das Entscheidungszentrum in andere Länder verlegt wird. Als die Adtranz-Eisenbahnwerke zuerst nach Deutschland gingen und später von Bombardier restrukturiert wurden, setzte sich niemand in der Zentrale für die Jobs in Pratteln, Oerlikon und Winterthur ein. Die Politiker polterten, genützt hat es nichts mehr.

Unaxis/Oerlikon und Saurer sind schon weg, Ascom und Sulzer folgen vielleicht. Warum kämpft hierzulande niemand um diese Industriefirmen?

__ Das ist wirklich schwer zu verstehen. Es scheint, dass der Wille zur Investition und zu Risiko sowie der Mut zum Aufbau fehlen. Die Schweizer wollen verkaufen statt gestalten.

Ist die Schweiz am Ende eines Zyklus angelangt, ohne Kraft und Saft?

__ Ob unsere Industriekreise müde sind oder ob sie sich mit den Veränderungen des Umfelds nicht mehr beschäftigen wollen, ist je nach Fall anders. Wir müssen uns einfach bewusst sein, dass unser ökonomisches Wohlbefinden nicht nur vom Servicesektor abhängen kann. Wir sollten zu der Industrie Sorge tragen und weiterhin unsere grossen Qualitäten in diesem Bereich pflegen und ausbauen.

Sie warnten vor dem Verkauf der Swiss an die Lufthansa. Nun ist es gut herausgekommen.

__ Im Moment scheint es so zu sein. Wobei wir uns trotzdem bewusst sein müssen, dass wir mit dem Verkauf die Entscheidungsmöglichkeit über unsere Anbindung an die internationalen Verkehrsnetze verloren und diese Entscheidungsbefugnis auf die Lufthansa übertragen haben.

Wer sollte die Interessen des Landes besser verteidigen?

__ Demokratische Regierungen können nicht befehlen, sondern sollen Anreize setzen und führen. Wenn aber von morgens bis abends alles zerredet wird, mag das sehr demokratisch erscheinen, wird aber in einem sich sehr schnell verändernden Umfeld mit völlig neuen Konkurrenten zum Handicap.

Weniger Demokratie also?

__ Mehr Verständnis und Eigennutz. Unsere Politiker wollen alle belehren, vergessen aber, dass wir auch bestehen müssen. Ihre eigentliche Aufgabe wäre es, ein Umfeld zu schaffen, in dem wir unsere Vorteile entfalten können.

Wird die Schweiz in ein paar Jahrzehnten ärmer sein als die aufsteigenden Nationen?

__ Vermutlich. Die Schweiz und Deutschland sind typische Mittelstandsländer, der Mittelstand ist auch das Rückgrat der Demokratie. Und der Mittelstand verarmt schleichend.

Uns bleiben die Banken, die uns über Wasser halten.

__ Wir haben einige Weltklassemultis und auch einige herausragende mittelgrosse Firmen. Viele machen ihr Geschäft im Ausland und brauchen keine Produktionsstätten bei uns. Auch die Wertschöpfung von CS und UBS findet verstärkt ausserhalb der Schweiz statt.

Die Vermögensverwaltung ist doch hier.

__ Auch dort haben wir einen Teil der Wertschöpfung abgegeben, indem wir im Ausland ansässige Profi-Asset-Managers beauftragen. Aber solange Schweizer Banken ihren individuellen Kundenservice pflegen, sind sie unschlagbar.

UBS und CS schreiben Rekordgewinne. Sind die zwei auch wirklich Weltspitze?

__ Es gibt vier grosse Überflieger: Citibank, Bank of America, HSBC und JP Morgan Chase. Dahinter folgen 20 andere, darunter BNP, Barclays, Deutsche Bank und natürlich UBS und CS. Weil jede Bank ein eigenes Geschäftsmodell hat, wird der Tag kommen, an dem einer sagt: Ich gebe mein grosses Retailgeschäft, du dein Private Banking.

Von globaler Konsolidierung wird schon lange gesprochen, passiert ist wenig.

__ Abwarten. In den neunziger Jahren war zumindest die CS gewillt, ihr Kleinkundengeschäft massiv auszubauen. Doch in Deutschland bei der Commerzbank und in anderen Ländern versandeten die Vorstösse. Nun konzentriert sich beispielsweise die UBS richtigerweise auf die Vermögensverwaltung. Doch die Zeiten können sich ändern.

Was passiert an den Börsen? Droht ein Crash?

__ Die Finanzmärkte haben sich völlig verändert. Früher war die Summe aller Bankbilanzen das Höchstmass an weltweit möglicher Verschuldung. Heute verlagern wir die Verschuldung in den unkontrollierten Bereich der Wirtschaft ­ Versicherungen, Hedge Funds, Pensionskassen, Zertifikate ­, und damit ist unsere Fähigkeit zur Finanzierung ins Unermessliche gewachsen. Mit minimalem Risiko, weil alle Risiken zerstückelt und verteilt werden. Alles ist inzwischen finanzierbar, bankrotte Fussballklubs, Airlines, was weiss ich. Die Banken besitzen einen Kasten mit 250 Werkzeugen, wo es früher zehn gab.

Und irgendwann explodiert die Maschine?

__ Die enorme Verschuldung hat die Preise nach oben getrieben. Ich bezahle das Doppelte für eine Firma, weil ich sie mit 90 Prozent belehnen kann, dann habe ich immer noch eine tolle Rendite auf meinem Eigenkapital. Doch irgendwann geht irgendwo etwas schief, dann sinkt das Vertrauen, die Akteure ziehen sich zurück, das geht irrsinnig schnell. Wir haben in diesen Tagen einen kleinen Vorgeschmack erhalten. Plötzlich brach ein bestimmter peripherer Markt zusammen, und sofort wurden die Akteure nervös.

Was kommt nach dem Crash?

__ Dann beginnen wir wieder von vorne. Aber in der Zwischenzeit hat eine gewaltige Vermögensvernichtung stattgefunden. Diese wird meistens von einer Vermögensumverteilung begleitet, die, zynisch gesagt, verschiedene politische Bewegungen immer anstreben, aber in dem Ausmass nie erreichen.

Werden die Börsen auf den Stand der neunziger Jahre fallen?

__ Jedenfalls tief oder weit hinunter, weil schlicht zu viel Kredit im System ist. Ich empfehle seit vielen Jahren die Emerging Markets als Anlageziel. Diese sind jetzt in einem Kreditboom. Das erinnert an die damalige Concorde mit ihrem Afterburner, der das Flugzeug über die Schallmauer brachte. Im Moment geht es steil nach oben, doch wenn wir die Kredite zurückziehen, also unser Afterburner explodiert, geht es im Sturzflug runter. Dann tut es weh. If you get caught on the high, you will virtually lose everything you made before.

Was soll der Anleger tun?

__ Alles Spekulative ­ dazu gehören die Emerging Markets ­ muss man jetzt mit grösster Sorgfalt überprüfen. Die Lage hat sich für das Erste beruhigt, aber Nachbeben sind zu erwarten. Zur gleichen Zeit hat sich die geopolitische Lage verschlechtert, und wir werden uns mit bedeutend konfrontativeren Bedingungen auseinandersetzen müssen. Der wirtschaftliche Kuchen wächst zu langsam, um alle Ansprüche befriedigen zu können.

Sie werden im Herbst 67. Wann gehen Sie in Pension?

__ Mein Job bei Barclays Capital stimuliert mich, genauso wie meine privaten Vermögensverwaltungsfirmen und meine Engagements in Russland.

Warum nehmen Sie es nicht ruhiger?

__ Für mich ist interessanter, mit beiden Füssen in der Entwicklung zu stehen, als unbeteiligt von aussen zuzuschauen.

Sie könnten eine Stiftung gründen oder ein Buch schreiben?

__ Das Buch kommt sicher einmal, und Charity machen wir, die es sich leisten können, sowieso. Aber ich sehe meinen Beruf als etwas mehr als nur Geld verdienen. Die Welt wird nicht global integriert werden können, weil dies von oben herab verordnet wird, sondern weil viele von uns Tausende von Brücken bauen. Ich sehe mich als einen Brückenbauer.

So kann jemand sprechen, der sein Vermögen längst gemacht hat.

__ So kann man argumentieren. Aber ich habe mich immer als Rädchen in einem grossen Getriebe gesehen, indem ich meine Rolle zu erfüllen habe. Wer sich nur auf Kosten und zum Nachteil aller anderen bereichert, ist ein Schädling. An der Erfüllung seiner Rolle und nicht an seinem Verdienst muss man den Einzelnen messen.

Hans-Jörg Rudloff

Der 66-jährige Schweizer lebt in London. Er studierte Wirtschaft in Bern und arbeitete 14 Jahre bei der Credit Suisse, zuletzt als Mitglied der Gruppen-Geschäftsleitung. Heute ist er Präsident der Investmentbank Barclays Capital, bei der internationalen Kapitalmarkt-Bankenvereinigung und bei BlueBay, einem der grössten englischen Hedge Funds. Weiter sitzt er im VR des russischen Energiemultis Rosneft und der russischen Mediengesellschaft RBC.


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