Unter Leichtgewichten

Einst hiess der Direktor des Wirtschaftsdachverbands «achter Bundesrat». Heute muss die Economiesuisse froh sein, wenn sie als Institution überlebt. Nun soll mit Gerold Bührer ausgerechnet ein Vollblutpolitiker für die Wirtschaft den Turnaround schaffen.

Dienstag, 26. September 2006. Die zweite Herbstsessionswoche des Parlaments in der bündnerischen Aussenstation Flims beginnt. Pünktlich um sieben Uhr versammeln sich die Mitglieder der bürgerlichen Fraktionen zum legendären «Frühstückstreffen». Mögen SVP, FDP und CVP im Tagesgeschäft manchmal Welten trennen ­ bei Kaffee und Gipfeli zelebrieren die Damen und Herren National- und Ständeräte von Mitte-rechts fröhliche Einigkeit. Ihr Motto lautet dann: Geeint sind wir stark, für einen blühenden Wirtschaftsstandort Schweiz setzen wir uns ein.

Unzählige Branchenverbände, Nonprofitorganisationen und Firmenvertreter balgen sich jeweils in den Stosszeiten des helvetischen Politbetriebs darum, die nationalen Politiker mit ihren Anliegen einseifen zu können. Wer einen festen Platz auf der parlamentarischen Agenda erhalten will, muss sich sputen.

Ein solcher ist dem bürgerlichen Frühschoppen gewiss, dafür sorgt der älteste und mächtigste aller Interessenverbände. Die Economiesuisse, der Wirtschaftsdachverband der Schweiz, bei dem sowohl die Unternehmen der Industrie als auch jene der Dienstleistungsbranchen vertreten sind, bietet seit acht Jahren die bürgerlichen Fraktionsmitglieder zum exklusiven Spitzentreffen auf ­ jede Session ein-, manchmal gar zweimal, je nachdem, was in den Räten an Gesetzesvorlagen auf dem Programm steht.

Doch abgesehen von solchen Erfolgen tut sich der Verband schwer. Vom einstigen Gewicht des ältesten Spitzenverbands ist jedenfalls derzeit nicht viel zu spüren. Am gewöhnungsbedürftigsten ist dies für die stolzen Mitglieder selbst. Von 1870 bis zum Mauerfall galt die Economiesuisse-Vorgängerorganisation Vorort nämlich als absolute Ausnahmeerscheinung unter den Lobbyvereinigungen. Ehrfurchtsvoll schrieben die Zeitungen vom Vorort-Direktor als «achtem Bundesrat» und malten das Bild eines bei der Landesregierung ein und aus gehenden Funktionärs, der in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt ist und in geheimen Sitzungen seine Interessen direkt im Zentrum der politischen Macht durchzusetzen weiss.

Tempi passati. Beim jüngsten Treffen im Flimser Asyl war die Rede nicht vom achten Bundesrat, sondern von einem langjährigen Kollegen aus den eigenen Reihen. 14 Stunden vor dem letzten «Frühstückstreffen» hatte der Vorstand der Economiesuisse ohne eine einzige Gegenstimme den Schaffhauser Freisinnigen Gerold Bührer auf den Präsidentenschild gehoben. Im Herbst 2007, wenn das Parlament neu bestellt wird, wird der Schaffhauser Vollblutpolitiker nach 16 Jahren im Nationalrat die Seite wechseln. Statt sich von der Economiesuisse für die Debatten und Abstimmungskämpfe argumentativ aufrüsten zu lassen, wird es Bührer sein, der seinen einstigen Kollegen im Namen des Dachverbands den wirtschaftspolitischen Kurs einzuhämmern versucht.

Langweilig wird es dem 58-Jährigen vorerst nicht. Erstens muss er an seinem eigenen Stil feilen. Das Argumentieren mit plakativen, emotional gefärbten Bildern gehört noch nicht zu Bührers Stärken (siehe «Ich bin ein liberaler Grundsatztäter» auf Seite 44). Selbst wenn der Noch-Nationalrat zu Recht sagt, er wolle authentisch bleiben, so weiss auch der neue Mann, dass für ihn das Gleiche gilt wie für alle, die um die knappe öffentliche Aufmerksamkeit ringen: Wer gehört werden will, muss auffallen.

Das ist Bührers persönliches Handicap. Es ist nicht sein Verschulden, dass sich seine zukünftige Auftraggeberin, das einstige wirtschaftspolitische Powerhaus, in einem jämmerlichen Zustand befindet. In den letzten 15 Jahren ist die Organisation zu einer 08/15-Institution geworden, deren einstige Sonderstellung im Berner Politbetrieb auf schweizerisches Mittelmass zurechtgestutzt worden ist.

Für Gerold Bührer liegt allerdings gerade darin eine Chance. Er übernimmt das Verbandspräsidium zu einem Zeitpunkt, in dem er fast nur gewinnen kann. Wäre Economiesuisse eine Firma, befänden sich ihre Aktien derzeit auf einem historischen Tiefststand ­ ein günstiger Moment für eine Stabübernahme.

Bührer muss den Hebel bei der Positionierung ansetzen, daraus folgt dann eine Imagekorrektur. Die ist dringend nötig. Bis heute hat die Economiesuisse den Sprung in die Neuzeit nicht geschafft. Obwohl sich die Grenzen ab 1990 auf der ganzen Welt zu öffnen begannen und sich der Wettbewerb der Ideen verschärfte, hielt der Wirtschaftsdachverband an seiner intransparenten, klandestinen Art, den Berner Politbetrieb zu beeinflussen, fest. Dies ermöglichte es seinen Gegenspielern, den «Verband aller Verbände» in die Zange zu nehmen. Rechtsausleger Christoph Blocher dreschte auf die im Vorort bestimmenden Freisinnigen ein, Polterer Otto Fischer verwandelte den trägen Gewerbeverein in eine schlagkräftige Alternative zum elitären Dachverband.

Dass nun ausgerechnet einer aus Bern den Wirtschaftsverband aus der Wüste führen soll, klingt wie ein schlechter Witz. Jahrzehntelang schrieben die Zürcher Ordoliberalen den Berner Verwaltern den wirtschaftspolitischen Kurs ins Pflichtenheft. Und nun wird ab dem 20. November mit Bührer ein Schaffhauser Politprofi versuchen, der Stimme der Wirtschaft in Bern wieder Gehör zu verschaffen. Es ist das erste Mal in der 136-jährigen Geschichte der Economiesuisse, dass ein Parlamentarier das Steuer in Händen hält. Gerold Bührers Vorgänger, der St. Galler Textilunternehmer Ueli Forster, wird als glückloser letzter einer ununterbrochenen Reihe von Unternehmern auf dem Präsidentenstuhl in die Geschichte eingehen.

Der besseren Positionierung des Wirtschaftsdachverbands hilft die Wahl eines Politikers im ersten Moment nicht. «Economiesuisse hat es bisher nicht geschafft, sich durch eine ständige und klare sowie von den prominent wahrgenommenen Abstimmungskämpfen losgelöste Verbandskommunikation eine eindeutige Identität zu verschaffen», konstatiert Roman Geiser, Chef der global tätigen Kommunikationsberatungsfirma Burson-Marsteller, die in zahlreichen Politdossiers die bürgerlichen Positionen erarbeitet. «So bleibt letztlich unklar, wofür genau die Marke Economiesuisse steht.»

Kurz: Der Wirtschaftsverband ist zu einem nebulösen Gebilde mutiert. Dem früheren ABB-Schweiz-Chef Edwin Somm, der in den neunziger Jahren die grossen Maschinenindustrieverbände präsidierte, fehlt eine klare Priorisierung der Themen. «Weil der Verband keine Strategie hat, hüpft er von Tagesthema zu Tagesthema. Zuletzt spricht er zu allem und sagt doch nichts.»

Der Niedergang in Raten der einst stolzen Economiesuisse hängt wie fast überall mit dem Führungspersonal zusammen. 1987, zwei Jahre vor der geopolitischen Gezeitenwende, deren Erschütterungen bis in die hintersten Winkel der Welt zu spüren waren, bezog ein Manager des damaligen Pharmamultis Ciba-Geigy das Büro des Vorort-Direktors. Kurt Moser war einer, der die globale Wirtschaftswelt kannte. Er war von einer fünfjährigen Auslandszeit in Fernost zurückgekehrt und wusste deshalb früh um den bevorstehenden rasanten Aufstieg von China zur Weltwirtschaftsmacht. Moser wurde zugetraut, den Einfluss des Vororts in Zeiten der wirtschaftlichen Öffnung zu sichern.

Der Ciba-Manager musste allerdings in grosse Schuhe treten, ja in überlebensgrosse. Sein Vorgänger Gerhard Winterberger war der Inbegriff des geheimnisumwitterten Lobbyisten, ein knorriger Typ, Zigarren rauchend, von dem es hiess, dass er den siebenköpfigen Bundesrat in wirtschaftspolitischen Fragen mit links manipulieren konnte. Zwei Jahrzehnte lang pendelte Winterberger zwischen der Wirtschaftshochburg Zürich und der Verwaltungsstadt Bern. Auch seine Vorgänger hatten engste Beziehungen zur Regierung gepflegt. Doch keiner verkörperte die Vorstellung des achten Bundesrats mehr als Winterberger, Vater der kürzlich gewählten Zürcher Regierungsrätin Ursula Gut-Winterberger (siehe «136 Jahre im Dienste der Wirtschaft» auf Seite 42).

Während in der anbrechenden Ära Moser die Schweizer Grossfirmen aufbrachen, um neue Absatzmärkte zu erobern, wurden die Verteilkämpfe zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern in der Heimat zur bitteren Schlacht. Nun benötigte der Vorort einen Direktor, der die Anliegen der Wirtschaft auf der öffentlichen Bühne mit kräftiger Stimme vortragen würde. Dieser Mann war Kurt Moser nicht.

Seinen berühmtesten Auftritt hatte der Vorort-Chef Mitte der neunziger Jahre, als die Wirtschaftsgrössen David de Pury und Thomas Schmidheiny ihr Weissbuch publizierten, mit dem sie Bern den wirtschaftspolitischen Tarif durchgeben wollten. Als die Sendung «Arena» des Schweizer Fernsehens zur Debatte lud, liessen die Linken unter Führung ihres charismatischen Präsidenten Peter Bodenmann nach wenigen Minuten die Übertragung platzen. Zurück blieb Kurt Moser, der als jener Lobbyist in die Geschichte einging, der als Einziger in der «Arena» nie ein Wort gesagt hat.

So verlagerte sich das Gewicht innerhalb des Wirtschaftsverbands. Nicht mehr der Direktor war die bestimmende Kraft, sondern der Präsident. Doch denen fehlte oft die Zeit. Sulzer-Präsident Pierre Borgeaud und ab 1993 Roche-Vizepräsident und Swissair-Verwaltungsrat Andres Leuenberger waren die zwei Asse der Wirtschaft im Poker um die politische Einflussnahme in dieser entscheidenden Phase. Beide galten als unternehmerische Schwergewichte mit ansehnlicher Hausmacht ­ mit abnehmender Tendenz allerdings. Vor allem der Basler Leuenberger musste wegen der Swissair-Turbulenzen plötzlich ums eigene Image fürchten.

Bevor sein Stern schliesslich verlosch, hatte Leuenberger im Jahr 2000 seinen Vorort mit der Wirtschaftsförderung WF zusammengeschlossen, die zuständig für Abstimmungskampagnen war. Neu firmierte der Dachverband unter Economiesuisse und beschäftigte an seinem Zürcher Hauptsitz ein stehendes Heer von gut 60 Personen. Das Budget schoss auf 15 Millionen Franken pro Jahr hoch und verlangte von den Mitgliedern die entsprechenden Beiträge.

Aber nicht die Fusion entpuppte sich als fatale Entscheidung, sondern eine personelle Weichenstellung bereits zwei Jahre zuvor. Der unscheinbare Verbandsdirektor Moser trat 1998 in den Ruhestand, als Nachfolger bewarben sich ein distinguierter Karrierediplomat aus Bern namens Rudolf Ramsauer, Matthias Kummer, der hemdsärmelige Direktor der Kampagnenorganisation WF, und Thomas Cueni, ein arrogant auftretender Cheflobbyist von Pharma und Chemie. Das Rennen machte schliesslich der Diplomat. Unter Ramsauer verschärfte sich das Problem des unklaren Profils. Viele Spezialisten produzierten nun kiloweise Vernehmlassungspapiere zu allen erdenklichen Vorlagen. Doch ein Gesicht, das die Öffentlichkeit mit der Economiesuisse in Verbindung bringen konnte, fehlt auch heute noch, acht Jahre später.

Hinter vorgehaltener Hand sprechen Vororts-Mitglieder vom Problem, das die Economiesuisse mit ihrem Direktor habe. Davon lässt sich der designierte Präsident Bührer nicht beeindrucken. «Herrn Ramsauer habe ich in Bern als umsichtigen Netzwerker erlebt», urteilt Bührer über seinen wichtigsten zukünftigen Mitarbeiter. «Menschlich und charakterlich habe ich überhaupt kein Problem mit ihm. Wir werden die nötigen Reformen gemeinsam durchführen.»

Ein erstes Strategiepapier haben Vorgänger Ueli Forster, Direktor Ramsauer und Kurzfrist-Kronprinz Andreas Schmid in den letzten Monaten erstellt. Wie viel davon in Bührers eigene Überlegungen einfliessen wird, lässt der neue starke Mann offen. Klar ist für ihn lediglich, dass er und sein Team einen «möglichst grossen Einfluss in Bern ausüben» wollen, damit die schweizerische Wirtschaftspolitik «ordnungspolitisch» sei und «marktwirtschaftlichen Grundsätzen» folge.

Dass sich der designierte Präsident nicht von seinen Vorgängern den Weg vorschreiben lassen will, spricht für seine Eigenständigkeit. Bührer kennt die Economiesuisse aus der Sicht des «Konsumenten», als Politiker, der von den Verbandsleuten mit Botschaften versorgt wurde. Da herrscht wenig Handlungsbedarf. Hingegen muss er sich rasch eine Meinung zu den Gründen bilden, warum sich der Verband kein schärferes Profil geben konnte.

Vor allem muss Bührer erkennen, dass ein klares Image nur durch Tatbeweise in der Praxis entstehen kann. Lippenbekenntnisse und Strategiepapiere hingegen helfen wenig. Doch gerade bei der Durchsetzungskraft setzt Edwin Somm, Ex-ABB-Schweiz-Chef und Kenner der Wirtschaftsverbandsszene, ein Fragezeichen. «Ein Verbandspräsident ohne Hausmacht eines wichtigen Unternehmens kann doch im Führungsgremium und beim Bundesrat wenig bis nichts Strategisches bewegen. Der wird zum reinen Botengänger zwischen Zürich und Bern.»

Gerold Bührer, so Somm, gehört nicht zur Kategorie eines Unternehmers mit Hausmacht. Edwin Somm bezeichnet ihn als «Stabsmann», der von den wahren Schwergewichten der Schweizer Wirtschaft beauftragt worden sei, die Economiesuisse wieder zur Leaderin zu machen. Entweder halten diese Strippenzieher grosse Stücke auf Bührer. Oder ihr Interesse an der hiesigen Politik ist nur noch marginal. Einiges spricht für Letzteres.

Die Geschichte des Vororts

136 Jahre im Dienste der Wirtschaft

Der Anfang

12. März 1870: Gründung des Schweizerischen Handels- und Industrievereins (Vorort, Vorgängerorganisation von Economiesuisse). Als Gegengewicht zum System Alfred Eschers, der in kleinem Kreis die wichtigen Weichen stellte, sollte der neue Spitzenverband nach transparenten Spielregeln die Interessen der Wirtschaft in Bern vertreten.

Der Aufstieg

Die Geschäftsführer des Vororts galten bis Ende der achtziger Jahre als einflussreichste Einflüsterer. Laut dem Vororts-Haushistoriker Bernhard Wehrli gehörte Geschäftsführer Alfred Frey im ersten Viertel des neuen Jahrhunderts «jenem Kreise an, in dem in der Kriegs- und der unmittelbaren Nachkriegszeit die meisten wichtigen Entscheidungen fielen». Alfred Freys Nachfolger wurde Ernst Wetter, der nicht nur direkten Zugang zum Bundesrat hatte, sondern sogar mittendrin sass, wurde er doch in die Landesregierung gewählt. Wetter-Nachfolger Heinrich Homberger, Vororts-Direktor von 1939 bis 1965, nannte man «achten Bundesrat».

Die Konsolidierung

Den Höhepunkt seiner Macht als wirtschaftlicher Einflüsterer in Bern erreichte der Vorort unter Gerhard Winterberger. Von 1965 bis 1987 bestimmte Winterberger den wirtschaftspolitischen Kurs der Schweiz.

Der Abstieg

Kurt Moser steuerte das Vororts-Schiff bis 2002 durch unruhige Gewässer. Moser hatte nicht die persönliche Statur eines Winterberger, gleichzeitig brach im Politikzentrum nach dem Mauerfall, dem Fichenskandal und der denkwürdigen Armeeabschaffungsabstimmung ein neues Zeitalter an.

Der Rettungsversuch

In der elfjährigen Ära Moser verlor das Amt des Geschäftsführers an Gewicht, dafür rückte der Präsident des Vororts ins Rampenlicht. Ab 1993 war dies Andres Leuenberger, der das Steuer von Sulzer-Präsident Pierre Borgeaud übernahm. Leuenberger versuchte, mit einer Dreierfusion von Vorort, Arbeitgeberverband und Wirtschaftsförderung (WF) dem Spitzenverband sein einstiges Gewicht zurückzugeben. Doch der Arbeitgeberverband scherte aus, zurück blieben die WF und der Vorort, die sich 2000 zur heutigen Economiesuisse zusammenschlossen.

Die Krise

Anfang 2002 nahm Ueli Forster das Steuer in die Hand. Erstmals stand kein Schwergewicht aus der Wirtschaft an der Spitze des Dachverbands, sondern ein KMU-Vertreter. Forster war die Antwort auf die Krise in den Schweizer Wirtschafts-Chefetagen. Nach dem Konkurs der Swissair, dem Auffliegen privater Bereicherungsmechanismen von Managern und den finanziellen Desastern bei ABB, CS und Rentenanstalt / Swiss Life versuchte Economiesuisse einen Neustart mit einem Vertreter der «unbeschädigten» Wirtschaftsschweiz. Doch das Experiment missglückte: Economiesuisse hatte zwar zu jedem Thema eine Meinung, aber kein klares Profil.

Versuch eines Neuanfangs

2006 brach die Krise offen aus, der designierte Präsident Andreas Schmid warf das Handtuch, nachdem ihn Vertreter der Industrie als Mann der Zürcher Hochfinanz verunglimpft hatten und er seinen Präsidentenstuhl beim Reisekonzern Kuoni in einem internen Machtkampf verloren hatte. Mit dem designierten neuen Präsidenten Gerold Bührer delegiert die Wirtschaft die Rettung ihres Dachverbands an einen Politiker.

«Ich bin ein liberaler Grundsatztäter»

Beim designierten Economiesuisse-Präsidenten Gerold Bührer stimmt das Profil. Doch wird er auch gehört in der Arena der öffentlichen Meinungsbildung?

Schon wieder eine Verlegenheitslösung. Wie damals 2001 bei seinem Vorgänger Ueli Forster, der jetzt, nach fünf Jahren an der Spitze des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse, das Steuer weitergibt. Einen gewichtigen Unterschied zum Ostschweizer Textilunternehmer gibt es allerdings: Gerold Bührer ist in der interessierten Öffentlichkeit kein unbeschriebenes Blatt. Nur: Stehen auch die richtigen Qualifikationen für das schwierige Amt auf dem Label? Auf den ersten Blick fällt die Antwort negativ aus. Denn die Economiesuisse ist ein Wirtschaftsverband, keine Politinstitution. So ist es zumindest seit 136 Jahren gedacht. Doch Gerold Bührer ist zunächst einmal ein bürgerlicher Politiker und erst in zweiter Linie ein Wirtschaftskapitän. Von sich selbst sagt der 58-Jährige, er sei seit seinem Einstieg in die Politik als Kantonsrat in seinem Wohnsitzkanton Schaffhausen immer ein «Doppelfüsser» gewesen ­ mit dem linken Fuss Politiker, mit dem rechten Wirtschaftsmann.

Oder umgekehrt? Offenbar ist Bührer die Doppelrolle nun, da er sich auf seine neue Aufgabe vorbereitet, selbst nicht mehr ganz geheuer. Wird er ­ was nur noch eine Formsache ist ­ am 20. November zum Präsidenten der kriselnden Economiesuisse gewählt, will er sich 2007 aus dem Nationalrat verabschieden, wo er seit 15 Jahren stramm wirtschaftsfreisinnig politisiert.

Das ist der zweite Teil der Antwort auf die Frage, ob Bührer der richtige Mann sei, um das Economiesuisse-Schiff wieder auf Kurs zu bringen. Seine inhaltliche Positionierung ist die richtige für das zukünftige Amt. Der Mann aus Thayngen im nördlichsten Zipfel des Landes bewegt sich in den vier grossen wirtschaftspolitischen Schwerpunktdossiers Wettbewerb, öffentliche Finanzen, Steuern und Aussenwirtschaft mit sicherem Gespür auf dem Pfad der reinen marktwirtschaftlichen Lehre. Und er hat in seiner beruflichen Karriere sowohl Industrie als auch Finanzplatz, sowohl mittelgrosse Unternehmen als auch Multis kennen gelernt. Bührer war bei der Bankgesellschaft, beim Industrieunternehmen Georg Fischer, das Versicherungsgeschäft kennt er als Verwaltungsrat der Swiss Life.

Wettbewerb für eine Dynamisierung der Wirtschaft und für neue Arbeitsplätze, weniger Geld für den Bund, tiefere Steuern für die Bürger, Bilateralismus statt Beitritt: So heissen die vier Eckfahnen auf Bührers Spielfeld. Seine persönliche Homepage ziert ein Foto, das ihn am Rednerpult des Nationalrats zeigt, die Arme nach unten, die Hände gerade vor sich ausgestreckt, knapp über der Tischplatte: eine typische Pose eines ordnungspolitischen Saubermanns, der «einen Beitrag zu einem starken Standort Schweiz» leisten will.

Aus Sicht des Spitzenverbands der Wirtschaft steht das Produkt Bührer somit für die richtigen Werte. Umstritten ist, ob Gerold Bührer von seinem Naturell her fähig sein wird, im Wettstreit um die öffentliche Aufmerksamkeit genügend zu punkten; ob es ihm, dem ewigen «Doppelfüsser», gelingen wird, seine Botschaften mit der nötigen Schärfe zu würzen.

Der Schaffhauser hat nämlich nichts mit einem Polterer gemein, er ist kein Terrible Simplificateur, der seine Aussagen so lange zuspitzt, bis sie sich tief ins Fleisch des politischen Gegners bohren und dieser laut aufheult. Sein Politstil hat nichts von der Scharfzüngigkeit eines Christoph Blocher oder von dessen Spiritus Rector, dem früheren Gewerbeverbandspräsidenten Otto Fischer ­ Political Animals, die erst ruhen, wenn sie sicher sind, ihren Widersacher zu Boden geschlagen zu haben.

Bührer ist, um es in der Sprache Blochers zu sagen, ein Lieber und Netter, einer, der keiner Fliege etwas zuleide tut. Was Bührer für ein Typ Mensch ist, wird klar, wenn er seinen Stil umschreibt. Das klingt dann so: «Ich bin sicher nicht der Holzhackertyp. Aber ein Oberdiplomat bin ich auch nicht. Logisch, für die Zukunft werde ich schon pointiert auftreten. Und als Präsident der Economiesuisse werde ich das sicher auch besser tun können. In der Fraktion in Bern ist halt manchmal auch Zurückhaltung nötig.» Ein wenig Wischiwaschi, eine Je-suis-ni-pour-ni-contre-Version also? Wenn Bührer sagt, er sei sicher ein wirtschaftspolitisch «liberaler Grundsatztäter», hat man das Gefühl, dass er sich für seinen Geschmack schon sehr weit aus dem Fenster lehnt.

Somit ist absehbar, dass die Economiesuisse auch unter der neuen Regentschaft keine spektakulären Schlagzeilen liefern wird. Obwohl ihr gerade dies aus Wirtschaftskreisen als Schwäche vorgeworfen wird. Der Dachverband der Wirtschaft müsse endlich sein Profil schärfen, heisst es immer wieder.

Trotzdem braucht ein vorsichtiger Typ wie Gerold Bührer nicht von vornherein die falsche Wahl zu sein. Er ist lange genug dabei und weiss, dass man in diesem Geschäft auf Dauer nur glaubwürdig ist, wenn man sich selbst treu bleibt. «Ich werde mir in meiner Art aufzutreten und zu argumentieren treu bleiben», sagt er. Der zukünftige Spitzenmann der vereinten helvetischen Wirtschaftsszene wird sich demnach nicht über Nacht in einen Volkstribun verwandeln, sondern die neue Herausforderung auf seine bekannte Art anpacken: in korrekter, freundlicher, etwas spröder Buchhaltermanier.

Ist er in der Sache konsequent ­ dazu gehört beispielsweise ein Rückkommensantrag beim Thema Parallelimport-Verbot ­, kann Bührer der geschundenen Economiesuisse zu neuem Selbstbewusstsein verhelfen. Der Zeitpunkt für ein Engagement an der Verbandsspitze ist jedenfalls äusserst günstig. Gelingt der Turnaround, heimst Bührer das Lob als Erster ein. Misslingt die Rettung, stehen als Erste seine Vorgänger im Regen.

Feuer im Dach

Der Ausbruch der Krise bei Economiesuisse lässt sich präzis datieren. Am 2. April 2006 gibt Johann Niklaus Schneider-Ammann, Präsident des Maschinenverbands Swissmem, gegenüber der «SonntagsZeitung» auf die Frage, ob Manager mit zweistelligen Millionensalären mit dem Feuer spielten, die folgenschwere Antwort: «Ja, diese Manager gefährden den sozialen Frieden.» Angesprochen fühlen muss sich UBS-Präsident Marcel Ospel, der mit Schneider-Ammann im Economiesuisse-Vorstandsausschuss sitzt.

Sieben Wochen später kündigt Swissmem die Mitgliedschaft beim Dachverband auf. Schneider-Ammann zielt erneut auf Ospel & Co. und spricht von divergierenden Interessen zwischen Finanz- und Pharmabranche. Laut einem Economiesuisse-Mann, der sich namentlich nicht zitieren lässt, ist Schneider-Ammanns Lamento ein Ablenkungsmanöver. Grund des Austritts seien die Finanzprobleme von Swissmem. «Offenbar stimmt für die Swissmem-Mitglieder das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht mehr», sagt er. Falls Swissmem aus der Economiesuisse austritt, bricht ein Viertel des 15-Millionen-Jahresetats weg. Die Verschlankung, die dem neuen Präsidenten Gerold Bührer vorschwebt, würde dringlicher. Im Gespräch gibt sich Bührer optimistisch, dass er Swissmem von einer weiteren Mitgliedschaft überzeugen kann.


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