Schuldig sind alle anderen

Der FC Basel hat die Niederlage gegen den FCZ und die Sanktionen nicht verdaut. Bei Saisonbeginn mangelt es noch immer an Selbstkritik. Das Problem heisst Gigi Oeri.

Am Samstagabend erlebt die Fussballschweiz ein Trauerspiel der besonderen Art. Der Fussballclub Basel, jener Verein, der seit vier Jahren das Mass aller Dinge in der obersten Liga ist, muss Busse tun. Weil Zehntausende von Fans beim ersten FCB-Heimspiel der neuen Saison gegen Schaffhausen draussen bleiben müssen, wird im riesigen Jakobspark gähnende Leere herrschen – eine Demütigung sondergleichen.

Zwei so genannte Geisterspiele sind die Strafe für die Ausschreitungen nach dem Meisterschaftsfinal im vergangenen Mai. Zu einer kritischen Selbstreflexion in Basels Chefetage haben die Sanktionen des Schweizer Fussballverbands bis jetzt nicht geführt. Von eigenen Fehlern oder neuer Bescheidenheit ist am Rheinknie wenig zu spüren, dafür viel von der Wut auf die Restschweiz. «Ich wehre mich dagegen, von einer verpfuschten Saison zu sprechen», enerviert sich FCB-Trainer Christian Gross noch heute. «Wir wurden auf dem Zielstrich abgefangen, unter anderem auch, weil wir enorm benachteiligt waren: durch Schiedsrichterentscheide, durch Verbandsentscheide, durch die Belastung im europäischen Wettbewerb.»

Warum nur wir?

Das Auftreten des Trainers mag mit Motivationsüberlegungen für das gebeutelte Team erklärt werden. Anders präsentiert sich die Lage für die oberste Verantwortliche des Klubs: Gigi Oeri, 50, ist dank ihrer Finanzkraft nicht erst seit der Wahl zur Präsidentin diesen Frühling die starke Person im FCB. Wie Cheftrainer Gross, ihr wichtigster Angestellter, spricht auch Oeri in erster Linie von der Mitverantwortung des Umfelds, nicht von den eigenen Fehlern. In ihrer schriftlichen Stellungnahme gegenüber FACTS ist die Rede vom «enormen Schaden, der dem FCB zugefügt wird», und der Bereitschaft, dafür geradezustehen, aber nur unter der Voraussetzung, «dass sich auch andere solidarisch zeigen.» Wen sie meint, zählt sie in einem Rundumschlag auf: «Den Verband, die Behörden, die Stadionbesitzer, die Fans, das FCB-Umfeld.» Kurz: Alle anderen sind schuldig.

Die Aussagen von Oeri und Gross fördern nach dem verlorenen Entscheidungsspiel am 13. Mai gegen den FC Zürich und den anschliessenden Schlägereien des Basler Pöbels ein zwiespältiges Bild zu Tage. Offenbar ist die Analyse der missratenen letzten Saison beim vormaligen Titelverteidiger nicht sehr tief gegangen. Warum, so lauten die Klagen bis heute, mehr als zwei Monate nach dem Debakel und einer freudigen Weltmeisterschaft dazwischen, sollen ausgerechnet wir Basler wegen ein paar Amok laufender Fans als Einzige bestraft werden? Schliesslich waren es wir Basler, die den Schweizer Fussball in diese Dimensionen gehisst haben. Und warum werden die übrigen Schweizer Super-League-Vereine mit ihren ebenfalls gewalttätigen Anhängern in Ruhe gelassen?

Christian Gross bringt die eigene Befindlichkeit mit einer rhetorischen Frage auf den Punkt: «Was können die Spieler und der Trainer dafür, dass es zu Ausschreitungen gekommen ist?» Immer noch scheint der erfolgreichste Schweizer Fussballcoach der letzten Jahre zutiefst gekränkt zu sein.

Die Uneinsichtigkeit von Gigi Oeri und ihrer Entourage birgt Risiken. Würde die vermögende Präsidentin, die das teuerste Team der Liga finanziert, nicht mehr mit dem Finger auf angebliche Mitschuldige an der Krise zeigen, fände sie womöglich mehr Verständnis. Vielleicht würde sie bei einem Teil der Fussballöffentlichkeit gar Mitleid erregen. Stattdessen bläst sie mit ihrer Wut im Bauch zum Angriff. Das kommt in der Welt des Schweizer Spitzenfussballs nicht gut an. Ausserhalb von Basel erweckt sie bei vielen Fussball-Insidern den Eindruck einer Unbelehrbaren. Einer arroganten Besserwisserin, der man den Erfolg missgönnt. Die hartnäckige Uneinsichtigkeit war denn auch der Grund, weshalb der FC Basel nach dem missratenen Saisonende in der Öffentlichkeit und beim Schweizer Fussballverband in Ungnade gefallen war. «Sie spielt die beleidigte Leberwurst», sagt ein langjähriger FCB-Beobachter, der sich nicht namentlich nennen lassen will. «Weil Oeri es nicht geschafft hat, als frisch gekürte Präsidentin den Meisterpokal zu holen, schlägt sie wild um sich.» Oeri sei eine äusserst emotionale Person und gewohnt, ihren Willen durchzusetzen.

In dieses Bild passt das verunsicherte Personal. Ob die Präsidentin für ein Gespräch zur Verfügung stehe, wollten wir vom Pressesprecher des FCB wissen. Und erhielten die kleinlaute Antwort, ein Gespräch mit seiner Vorgesetzten sei momentan etwas schwierig. Frau Oeri sei auf bestimmte Medien nicht gut zu sprechen. Wegen einer vor kurzem publizierten Karikatur der Wahlbaslerin zähle auch FACTS dazu.

Langfristvertrag mit Gross

Für langjährige Beobachter ist Oeris nachtragende Art nichts Neues. Schon mehrere Leistungsträger in der Führungsetage des FCB haben sie zu spüren bekommen. Freiwillig oder unfreiwillig gingen nach Meinungsverschiedenheiten mit Frau Oeri Geschäftsführer Werner Schneeberger, Generaldirektor Roger Hegi und Sportchef Erich Vogel von Bord. Im Sommer 2005 trennte sich Gigi Oeri auch von Oliver Kreuzer, einem ehemaligen FCB-Spieler, der sich nach seinem Rücktritt ums Administrative rund um die erste Mannschaft gekümmert hatte.

Vergeblich hoffte Kreuzer, dereinst den vakanten Posten des Sportchefs übernehmen zu können. Denn diese Stelle hatte die Präsidentin kurzerhand abgeschafft. Als Zuständige für das Transfergeschäft übernahm sie gleichzeitig die Funktion des Sportdirektors, der durch Kauf und Verkauf von Spitzenspielern die oberste Verantwortung für den langfristigen Erfolg des Vereins trägt. «Gigi Oeri als Transferchefin. Was heisst das? Oeri kann doch keine Spieler beurteilen», kritisiert Kreuzer Oeris Beförderung in Eigenregie.

Die Frau von Andreas Oeri, dessen Familie ein grosser Teil des Pharma-Multis Roche gehört, ist erst seit 1999 im Spitzenfussball tätig. Der damalige FCB-Präsident René C. Jäggi holte die Süddeutsche, die bis zu diesem Zeitpunkt als Initiantin des Basler Puppenhaus-Museums bekannt geworden war, in sein Vorstandsteam. «Gigi hat den Klub mit Einsatz, Herzblut und sehr wahrscheinlich mit viel Geld unterstützt», sagt Jäggi im Rückblick. Bis zu dessen Weggang im Herbst 2002 zu Kaiserslautern in die deutsche Bundesliga war Oeri für den Jugendbereich zuständig. Danach setzte sie sich ans Steuer, obwohl bis 2006 offiziell Werner Edelmann auf dem Präsidentenstuhl sass. «Frau Oeri wollte schon lange Präsidentin werden, das war dem ganzen Vorstand klar», antwortet Edelmann auf die Frage, wer in den letzten Jahren das Sagen beim FCB hatte.

Bis zur denkwürdigen Niederlage vom 13. Mai gegen den FC Zürich herrschte nach aussen Harmonie. Der FCB schien unschlagbar, die Führungsequipe unter Gigi Oeri galt als Powerteam, in Interviews schwärmte die Präsidentin von ihrer neuen Aufgabe. Wenige Wochen später zeigen sich tiefe Risse. Während Oeri nichts wissen will von einer gefährlichen Abhängigkeit vom Cheftrainer, spricht Finanzchef Mathieu Jaus, der nach einer Personalrochade an der Klubspitze nicht mehr zum innersten Machtzirkel zählt, vom «Klumpenrisiko Trainer», über das die Verantwortlichen vor der Vertragsverlängerung mit Gross debattiert hätten. «Da fragten wir uns: Was ist gescheiter, von Gross abhängig zu sein oder das Risiko eines Trainerwechsels einzugehen? Das Erste war uns auf jeden Fall lieber.»

Der Langfristvertrag bis 2009, der Gross ein Jahressalär von einer Million Franken garantieren soll, könnte sich als kostspielige Falle herausstellen. «Einem Trainer, der sechs Jahre lang erfolgreich bei einem Klub gearbeitet hat, nochmals einen Vierjahresvertrag zu unterbreiten, ist fahrlässig», urteilt der frühere FCB-Kadermann Oliver Kreuzer. «Es ist normal und menschlich, dass nach so langer Zeit Abnützungserscheinungen auftreten. Diese Art des Wirtschaftens würde jeden anderen Verein ohne jemanden wie Frau Oeri kaputtmachen.»

Sollte Basel mit mehreren Niederlagen in die Saison starten, dürfte sich Gigi Oeri von ihrem Trainer trennen – bei voller Bezahlung für die restliche Vertragsdauer. Dann wäre das Schreckensszenario des FCB perfekt. Trotz den Abgängen von Torhüter Pascal Zuberbühler, Mittelfeldspieler David Degen und Spielmacher Matias Delgado bleibt die Mannschaft mit Ausgaben von geschätzten 30 Millionen Franken dreimal teurer als jene der Verfolgerklubs aus Zürich und Bern. Hinzu kämen die Wünsche des neuen Trainers, der für die Umsetzung seines Systems anderes Personal benötigt.

Ob aber Oeri weitere Millionen à fonds perdu in den Klub investieren will, wird sich zeigen. In den Roche-Eigentümerfamilien ist ihr fussballerisches Engagement jedenfalls ein Thema. Auf die Frage, wie dort nach den Turbulenzen rund um den FC Basel die Reaktionen zu ihrem Engagement ausgefallen seien, hat die FCB-Präsidentin eine kurze Antwort: «Positiv.»


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