Hauptsache ich

Die Deutsche Börse steckt in der Sackgasse. Schuld ist ihr Schweizer CEO Reto Francioni. Der kümmert sich mehr ums eigene Wohl statt um das des Unternehmens.

Reto Francioni ist einer der wenigen Manager in Deutschland, die sich nicht vor Hedgefonds zu fürchten brauchen. Im Gegenteil, sie sind seine wichtigsten Verbündeten. Als Grossaktionäre der Deutschen Börse entsorgten die Angelsachsen vor anderthalb Jahren Werner Seifert und setzten den gebürtigen Schweizer Francioni als CEO ein. Ohne Glaubwürdigkeitsverlust können die Firmenschrecks nicht schon wieder nach einem neuen Kopf rufen.

Francionis Glück ist das Pech seiner Arbeitgeberin. Monatelang hatte die Deutsche Börse mit der französischen Euronext über einen Zusammenschluss verhandelt. Erfolglos. Nun bräuchte es dringend eine Führung mit klarer Strategie und überzeugender Durchsetzungkraft. Sonst, sagen übereinstimmend mehrere Kenner der europäischen Börsenlandschaft, wird Fran- cionis Deutsche Börse von der Jägerin zur Gejagten und droht in ihre Einzelteile zerlegt zu werden.

Schuld an der misslichen Situation ist der 51-jährige Francioni. Langjährige Weggefährten kritisieren sein fehlendes strategisches Geschick. Während sein Vorgänger Werner Seifert, auch er Schweizer, den Ruf eines Kontrollfreaks genoss, der von sieben Uhr morgens bis Mitternacht am liebsten alles selbst erledigte, gilt Francioni als wenig einsatzfreudig. «Er delegiert alles und vergisst zu kontrollieren, ob der Job auch wirklich gemacht wird», sagt ein Börsenkenner. Zudem gehe ihm jegliches diplomatisches Geschick ab. Hinzu komme, dass er sein Management nicht mit klaren Vorgaben führe.

Eine Strategie fehlt

So hat sich Francioni, kaum hatte er diesen Frühling mit Andreas Preuss einen neuen Verantwortlichen für Kunden und Verkauf angeworben, aus dem wichtigen Kunden- und Markt-Komitee zurückgezogen, statt an der Front des Geschäfts zu bleiben. Ebenso lässt Francioni Machtkämpfe in seiner Geschäftsleitung zu, ohne schlichtend einzugreifen. Preuss hat sich laut Insidern der Deutschen Börse mit Finanzchef Mathias Hlubek und IT-Chef Michael Kuhn angelegt. Auch hier liegt das Problem bei Francionis fehlender Strategie. Nur wenn er eine solche hätte, könnte er seine Crew hinter sich scharen.

Die gleichen Führungsmängel wie bei der Deutschen Börse zeigte Francioni bereits bei der Schweizer Börse SWX, die er bis Herbst 2005 als Präsident leitete. «Francioni ist ein passiver Manager, der sich nicht für das Börsengeschäft interessiert, sondern vor allem seinen Ruf in der Öffentlichkeit pflegt», sagt Peter Keller, ehemaliges Geschäftsleitungsmitglied der SWX-Gruppe, und führt zwei Beispiele für Francionis Managementschwächen an: Nachdem die Schweizer Mitgliedsbanken 2004 das Übernahmeangebot von Deutsche-Börse-Chef Seifert abgelehnt hatten, prüften sie als Alternative die Gründung einer Finanzmarktholding. Die Börse SWX, die Abwicklungsorganisation SIS und das Banken-Rechenzentrum Telekurs sollten sich zu einer Gruppe verheiraten. «Francioni sagte nie, ob er den Plan unterstütze, sondern schob das Thema vor sich her», sagt Keller. «Vermutlich hoffte er, dass es sich von selbst erledigen würde.» Nach einem Zusammenschluss wären die wichtigsten Jobs im neuen Gebilde möglicherweise anders verteilt worden – für Francioni ein Grund zur Unsicherheit.

Gegner werden kaltgestellt

Auch die rechtzeitige Modernisierung der technologischen Plattform scheiterte am Nichtstun des damaligen Präsidenten Francioni. 2003 forderte Keller, die Entwicklung des Quotematch-Systems für einen effizienten Handel von strukturierten Produkten an auswärtige IT-Profis zu vergeben. «Francioni stemmte sich dagegen mit dem Resultat, dass wir anderthalb Jahre Verzögerung erlitten», sagt Keller.

Deutlich entscheidungsfreudiger ist Francioni, wenn es darum geht, unliebsame Widersacher kaltzustellen. Das prominenteste Opfer ist Peter Nobel. Der bekannte Zürcher Rechtsanwalt gilt als Baumeister der erfolgreichen Derivatebörse Eurex, eines Kooperationswerks der Deutschen und Schweizer Börse und wichtigster Wert im Portefeuille der zwei Organisationen. Als neuer CEO der Deutschen Börse nahm Reto Francioni vergangenen Herbst funktionsgemäss Einsitz im Eurex-Verwaltungsrat. Kaum dort, forderte er den Rausschmiss des jahrelangen VR-Sekretärs Nobel. «Ich war für Francioni ein störender Faktor», begründet Nobel sein erzwungenes Ausscheiden. Er habe immer die Schweizer Interessen vertreten, was offenbar nicht im Interesse Francionis liege. Der Angriff auf Nobel, den geistigen Vater der Internationalisierung der Schwei- zer Börse, sorgte innerhalb der Eurex für ein personelles Erdbeben. Gleichzeitig mit Nobels Entlassung schmiss auch Präsident Markus Granziol den Bettel hin. Granziol will sich zu seinem Rücktritt nicht äussern.

Das Zerwürfnis mit Nobel hängt offenbar mit Francionis verletzter Eitelkeit zusammen. Im Sommer 2004, als der damalige Chef der Deutschen Börse, Werner Seifert, den Schweizern ein verlockendes Übernahmeangebot mit einer 20-Prozent-Beteiligung machte, war Nobel eine treibende Figur hinter den Kulissen. Reto Francioni stemmte sich gegen das Vorhaben. Da öffnete Nobel Seifert die Türen zu den Grossbankenvertretern innerhalb der Schweizer Börse, die den Plan für prüfenswert befanden. Als Francioni Wind davon bekam und um seine Stellung fürchten musste, schürte er bei den Genfer Privatbanken und den Kantonalbanken erfolgreich Ängste vor einem «Ausverkauf der Börsenheimat». In der entscheidenden VR-Sitzung setzte sich Francioni mit einer Mehrheit von einer Stimme durch. Und schwor Rache. «Bei Francioni geht es immer um die eigene Macht und nicht um das Wohl seines Unternehmens», sagt Ex-SWX-Mann Peter Keller.

Das steht auch jetzt auf der Kippe. Als Chef der Deutschen Börse hat Francioni alles auf die Karte Euronext gesetzt. Nachdem sich diese für einen Zusammenschluss mit der amerikanischen NYSE entschieden hat, steht der Schweizer ohne Plan B da. Den Kampf um die Vorherrschaft im europäischen Kassamarkt – dem Handelsgeschäft von Aktien und Obligationen – hat er verloren. Das Aufkaufen kleinerer Börsen hat Francioni bisher nicht geschafft. Und eine Übernahme der Schwei- zer Börse SWX hat er vor zwei Jahren, als er noch Präsident der SWX war, selbst verhindert.

Francioni selber will sich dazu nicht äussern. Sein Kommunikationschef Walter Allwicher wehrt sich gegen die Aussage, die Deutsche Börse habe keinen strategischen Plan. «Wir wollen aus eigener Kraft wachsen und bleiben offen für jegliche Formen von Kooperationen.»

Trotz seinen Schwächen sitzt Reto Francioni offenbar fest im Sattel. «Es ist nicht sein Fehler, wenn die Franzosen und die Engländer ein Problem mit einer Zusammenarbeit mit uns haben», sagt der Sprecher eines langjährigen Verwaltungsrats der Deutschen Börse. Force majeure quasi.

Auch in den obersten Schweizer Börsenkreisen geniesst Francioni nach wie vor einen guten Ruf. «Francioni hat in Frankfurt ein schwieriges Erbe angetreten», sagt SWX-Vizepräsident Jacques de Saussure, Genfer Privatbankier von Pictet, «viel Spielraum hatte er nicht.»

Francioni wird in den nächsten Monaten versuchen, das Debakel in Frankreich durch Kooperationen mit kleineren Börsen abzuschwächen. Bislang hat er auch hier nichts Zählbares vorzuweisen. Der CEO der italienischen Börse, Massimo Capuano, sagte laut einem Insider nach Gesprächen mit Francioni jeweils: «Ich habe keine Ahnung, was jetzt gilt.» Wenig überraschend, dass die Italiener bisher nicht zu einer Partnerschaft mit den Deutschen bereit waren.

Biobox: Reto Francioni, 51

Der Zürcher ist seit einem Jahr Chef der Deutschen Börse. Er war der Wunschkandidat des Hedgefonds-Managers Christopher Hohn, der für den Abgang von Francionis Vorgänger Werner Seifert sorgte. Bereits von 1993 bis 2000 war Francioni Vorstand bei der Deutschen Börse. Danach wechselte er zum Online-Broker Consors, später leitete er die Schweizer Börse SWX.


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