JL Kennedy

Regierungschef José Luis Zapatero ist jung, hat schöne Ecken und Kanten und, und das ist wichtiger: Die Spanier trauen ihm zu, die Baskenfrage zu lösen. Das wäre ein grosser Triumph

«In meinen 25 Jahren als Journalist habe ich die Grossen erlebt – Mandela, den ersten Bush, Clinton, Mitterrand, Arafat, sogar den Dalai Lama. In diese Liga, da bin ich ziemlich sicher, gehört auch Zapatero.» Javier Valenzuela, der gierig an seiner Zigarette saugt, ist Pressesprecher des spanischen Präsidenten – und somit voreingenommen. Seinen wohldotierten Korrespondentenjob bei der renommierten Zeitung El País hätte er trotzdem nicht verlassen, versichert der Fünfzigjährige, wenn er von seinem «Chef» nicht überzeugt wäre. «Zapatero», so Valenzuela, «wird der Kennedy Europas.»

Am letzten Freitag war von Kennedy noch wenig zu spüren, als José Luis Zapatero in Barcelona für ein Ja zur EU-Verfassung warb. Seine Rede plätscherte vor sich hin, statt zu sprudeln und zu schäumen. Zugegeben, die Ausgangslage war auch schwierig. Wer nach Jacques Chirac, diesem «animal politique» der Extraklasse, sprechen muss, hat es schwer. Chiracs Mimik – den weit aufgerissenen Augen, der gerunzelten Stirn, der kraftvollen Gestik und dem sprachlichen Feuerwerk – konnte Zapatero nur jugendlichen Charme entgegensetzen. Wer hier in der Topliga spielte, war der Franzose.

Und doch ruft der Spanier bei seinen Landsleuten Erinnerungen an den berühmten US-Präsidenten aus den Sechzigern wach. Mit 44 Jahren ist er zu Beginn seiner ersten Amtszeit ebenfalls jung und schlank, und wie Kennedy sieht er auch noch gut aus. Jung waren bei ihrem Stellenantritt auch Zapateros Vorgänger, doch das ist die Folge der Franco-Diktatur, die eine ganze Generation unwählbar machte. Wichtiger als das Alter sind die Unterschiede im Regierungsstil. Und da hat sich spürbar etwas verändert. Die Vorgänger Suárez, González und Aznar führten alle das Land mit harter Hand und präsidialer Gewalt. Zapatero hingegen ist der erste Präsident, der bei jeder Gelegenheit die Mitsprache des Volkes und die Bedeutung des «ciudadano», des Bürgers, betont.

Dialog, Konsens und Pakte mit der bürgerlichen Konkurrenz zum Wohl des Staates – das sind die Eckpfeiler von Zapateros Politik. «Wenn wir zusammenleben wollen, müssen wir auch zusammen entscheiden.» Das Statement – es ist Zapateros politische Richtschnur – stammt von Anfang Februar im Kongress, als das Abgeord-netenhaus fast geschlossen den Unabhängigkeitsplan des baskischen Präsidenten Juan José Ibarretxe verwarf. Sein Vorgänger José María Aznar vom bürgerlichen Partido Popular, dem nach seinem Rücktritt letzten Frühling kaum jemand nachtrauert, hatte das Land polarisiert. In seiner achtjähriger Amtszeit führte er Spanien zwar zu Wohlstand, seine Bemerkung «España va bien», die den beeindruckenden Wirtschaftsaufschwung der Iberischen Halbinsel umschreibt, trifft ins Schwarze. Auch gelang es Aznar, Spanien innerhalb der EU als neue europäische Macht zu positionieren. Doch seine Unterstützung des amerikanischen Irakfeldzugs und die Vertuschungen im «Prestige»-Öltankerunglück trieb Millionen von wütenden Bürgern auf die Strasse. Zuletzt gebärdete sich Aznar wie ein kleiner König, der die Hochzeit seiner Tochter im Kloster El Escorial als Staatsakt inszenierte. Als er auch noch die Verantwortung für die Ma-drider Terroranschläge vom 11. März 2004 voreilig der baskischen ETA zuschob, schickten die Spanier die regierenden Konservativen in die Oppositionswüste.

Mutige Trendwende

Nach seiner Machtübernahme letzten April machte Zapatero kurzen Prozess mit Aznars ungeliebter Irakpolitik. Er befahl den sofortigen Truppenabzug und handelte sich damit den anhaltenden Ärger der USA ein. «Zapatero nimmt’s gelassen und witzelt im engen Kreis, falls Bush anrufe, soll man dem US-Präsidenten ausrichten, er sei besetzt», erzählt Sprecher Valenzuela. Die Realität sieht anders aus. Während ihrem kürzlichen Europa-Besuch liess US-Aussenministerin Condoleezza Rice Spanien links liegen. Zwei spanische Minister reisten ihr darauf nach im Versuch, die angespannten Beziehungen zu verbessern.

Der abrupte Wechsel in der Aussenpolitik führte zur Rückkehr Spaniens in den Hafen der EU-Kontinentalmächte Deutschland und Frankreich. Innenpolitisch skizzierte der neue Präsident in seiner Antrittsrede letzten Frühling ebenfalls eine mutige Trendwende. «Homo- und Transsexuelle verdienen die gleiche öffentliche Anerkennung wie die Heterosexuellen und haben das Recht, das von ihnen selbst gewählte Leben frei zu führen», sagte Zapatero in seiner Antrittsrede und befürwortete das Recht auf Heirat für jedermann. Das führte zu einem wüsten Proteststurm in der konservativen Presse und der mächtigen katholischen Kirche. Hier hat Zapatero wenig zu befürchten, die strengen Kirchenregeln haben sich für die Mehrheit längst überlebt.

Laut Umfrage von letzter Woche kommt Zapateros Politik gut an im Volk. Seine sozialdemokratische Partei PSOE liegt sieben Prozentpunkte vor dem Partido Popular, das sind sogar zwei mehr als beim überraschenden Wahlsieg vom 14. März 2004. Der Grund für die hohe Akzeptanz sieht der Schweizer Botschafter in Madrid, Armin Ritz, in einer konsequenten Umsetzung des Wahlprogramms. «Das ist erstaunlich, weil Zapatero Dinge versprach zu einem Zeitpunkt, als noch niemand auf seinen Sieg gewettet hätte.» Der Ministerpräsident entpuppt sich als weit vorausschauender Politiker, der die grossen Linien im Auge behalten kann.

Aufgewachsen ist er in einer antifranquistischen Familie. Sein Grossvater war Kommandant in der spanischen Armee und sympathisierte bei Kriegsausbruch 1936 mit den Republikanern. Nach einer Prozessfarce wurde er von Francos Truppen im ersten Kriegsjahr hingerichtet.1978, drei Jahre nach dem Tod des Diktators, verabschiedete Spanien seine erste Verfassung. Zapatero war damals 18 Jahre alt und trat der PSOE bei, die daran war, ihren marxistischen Ballast abzuwerfen, um sich in eine sozialdemokratische Partei modernen Zuschnitts zu verwandeln. Zu den jungen Gründervätern des neuen Staats zählten der erste Präsident, Adolfo Suárez von den Christdemokraten, und Felipe González, der charismatische PSOE-Präsident. Suárez‘ Familie hatte noch mit Francos Falange paktiert, und auch die Eltern von González hatten ihre politischen Wurzeln nicht bei den Linken, sondern im christlich-ethischen Milieu. Aznar schliesslich stammt aus erzkonservativen Kreisen. Erst jetzt, 30 Jahre nach dem Ende Francos, wird Spanien von einem waschechten Linken regiert. «Zapatero ist der erste Präsident, dessen Familie den Bürgerkrieg verloren hat», sagt El País-Journalist und Zapatero-Biograf Luis Aizpeolea, «alle seine Vorgänger zählen zu den Siegern von 1939.»

Bürger, keine Fernsehzuschauer

Seine Verbundenheit mit der PSOE ist gross, ihr verdankt Zapatero eine steile Karriere, in der Partei lernte er das harte Debattieren. «Im Zweifelsfall entscheidet Zapatero im Sinne der Partei», sagt Biograf Aizpeolea. Diese Loyalität bei gleichzeitiger Unabhängigkeit von den internen Clans brachte den jungen Abgeordneten im Sommer 2000 über Nacht an die PSOE-Spitze. Nach dem Wahldebakel gegen Aznars PP war die Partei zerstritten und brauchte einen neuen Leader. Der unbekannte Zapatero stand für einen Neuanfang, ohne die Vergangenheit schlechter als nötig zu machen. «No estamos tan mal», wir sind nicht so schlecht, machte er den Delegierten Mut. Da stand ein neuer Typ locker auf der Bühne, mit den Händen in den Hosentaschen, und plötzlich kippte die Stimmung zugunsten Zapateros und gegen den Favoriten José Bono, den seit Urzeiten die Region Castilla-La Mancha regierenden Parteibonzen. Vier Jahre später, vor der Präsidentschaftswahl, war die Lage ähnlich. Wieder galt Zapatero bei fast allen Kommentatoren als chancenlos, auch der Partido Popular unterschätzte ihn sträflich. «Aznar dachte, die Spanier seien Fernsehzuschauer und keine Bürger», erklärte Zapatero später die Niederlage der Konkurrenz.

Sein politischer Instinkt hilft Zapatero auch bei der EU-Verfassungsabstimmung. Früh erkannte er die Chance zur Profilierung innerhalb der Union, falls es ihm gelingen würde, sein Land als Erstes entscheiden zu lassen. «Los primeros con Europa» lautet sein schmissiger Slogan, und wenn die Spanier diesen Sonntag wie erwartet mit grossem Mehr ja stimmen, kann der Präsident das erste Regierungsjahr als Erfolg abbuchen. Nur sollte die Stimmbeteiligung über 40 Prozent betragen, sonst hängt Zapateros Bild der Spanier als EU-Vorzeigedemokraten schief.

Um seine Landsleute zur Urne zu treiben, wirbt der Präsident für das epische Werk, als ginge es um das Überleben der Republik. «Si queremos un futuro en libertad, vota sí», lautet seine Kernbotschaft. Wenn wir eine Zukunft in Freiheit wollen, stimme ja: So viel Pathos ist in Westeuropa selten geworden, die Menschen in Deutschland oder Frankreich wollen konkrete Vorschläge hören. Glaubt Zapatero tatsächlich, dass die Freiheit auf dem alten Kontinent von der neuen Verfassung mit ihren 1058 Artikeln abhängt? Welche Freiheit meint er? Jene, den USA die Stirn zu bieten? Jene auf einen eigenen Staat, wie vom Baskenland gewünscht? Jene, seinen homo- oder transsexuellen Partner heiraten zu dürfen? Oder jene, Sterbehilfe zu leisten?

Statt wie seine Vorgänger von oben herab zu bestimmen, was gut für Land und Leute ist, signalisiert Zapatero überall Kompromissbereitschaft. Diskutierbar ist alles, solange das Gesetz respektiert wird, lautet seine Haltung. Was er damit meinte, machte er in der Ibarretxe-Debatte mit einem Satz deutlich: «In der Demokratie ist alle Macht beschränkt und dem übergeordneten Gesetz unterstellt.» Für Zapatero ist die Verfassung heilig. Da Ibarretxes Plan diese missachtet, braucht es einen neuen Vorschlag oder eine Verfassungsänderung.

Ob Zapatero dereinst als grosser Staatsmann in die Geschichte eingehen wird, hängt vom Erfolg seiner Regionalpolitik ab. Neben den Basken fordern auch die Katalanen im Nordosten und die Galicier im Nordwesten mehr Autonomie. Joan Subirats, Politologieprofessor an der Autonomen Universität Barcelona, sieht gute Chancen für ein Abkommen. «Der grösste Erfolg für Zapatero wäre ein Gewaltverzicht der ETA», sagt Subirats.

So weit ist es nicht. Erst letzte Woche wurden bei einem Anschlag 40 Menschen in Madrid verletzt. Unter Aznar, der den Autonomien keine neuen Freiheiten gewähren wollte, gingen die Anschläge zurück. Wenn sie jetzt wieder zunehmen, kann das mit Zapateros Gesprächsbereitschaft zu tun haben. Für ihren Rückhalt in der Bevölkerung sind die Terroristen auf eine unerbittliche Zentralregierung angewiesen. Attentate können nachhelfen.

Wie stark sich das Klima unter dem neuen Staatspräsidenten verändert hat, zeigt eine Passage aus Zapateros Rede im Kongress, als er seinen baskischen Gegenspieler direkt ansprach. «Ich hoffe, dass Sie, Señor Ibarretxe, dieses Nein von heute akzeptieren können als ein Ja zu einer neuen Realität, in der wir alle Platz haben.» Der neue Ton ist es, der laut dem katalanischen Professor Subirats zum Durchbruch in der Basken-Frage führen könnte. Selbst wenn die ETA vorerst weiter bombt.


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