Der gestürzte Fregattenkönig

Eine Korruptionsaffäre führt zu diplomatischen Querelen. Leistet die Schweiz Taiwan Rechtshilfe, sind die Beziehungen zu China in Gefahr. Jetzt redet der Hauptverdächtige.

Der Treffpunkt bleibt lange geheim. Nicht einmal dass die Reise nach London geht, wird frühzeitig verraten. Und selbst nach der Landung in Heathrow erfährt man zunächst nur die nächste Station auf diesem Orientierungslauf der besonderen Art. Erst im Hotel «Sheraton» flüstert eine Stimme das Ziel ins Handy: «Raum Amsterdam.» Die Jalousien sind heruntergelassen, die Tür ist zu. Als ob sich jemand verbarrikadieren wollte. Vorsichtiges Klopfen, zögerliches Eintreten, und hier steht er, die Hand zur Begrüssung ausgestreckt: Andrew Wang, 76, taiwanesischer Milliardär und Vermittler von Waffendeals. Der Zweck des Treffens: Wang will belegen, dass er zu Unrecht von der Justiz verfolgt wird. Sein Heimatstaat Taiwan will ihn wegen Bestechung, Verrat und Mord vor Gericht zerren, die Schweiz hat 500 Millionen Dollar blockiert.

Der Fall geht zurück ins Jahr 1991 und ist von ungeahnter Dimension. Taiwan wirft Andrew Wang vor, bei einem Kriegsschiffdeal ­ dem berühmten Fregattenverkauf von Frankreich an den Inselstaat ­ im grossen Stil bestochen zu haben. Als wäre das nicht genug, soll der Geschäftsmann obendrein einen hohen Marineoffizier ermordet haben, um diesen zum Schweigen zu bringen. Gemäss Anklageschrift hat Wang taiwanesische Beamte geschmiert, damit diese für die Fregatten einen masslos überhöhten Preis bezahlen würden. Und hohe französische Politiker hätten von Wang Retrokommissionen, so genannte Kickbacks, erhalten, um die Waffenlieferung zu ermöglichen.

Welchen Entscheid fällt Blocher?

Die Schweiz spielt eine zentrale Rolle. Wegen Geldwäschereiverdachts wurde frühzeitig Wangs Vermögen auf Schweizer Bankkonti eingefroren. Ebenfalls hat der ermittelnde eidgenössische Untersuchungsrichter entschieden, dem Rechtshilfebegehren Taiwans stattzugeben. Dieser Beschluss wurde Anfang Mai vom schweizerischen Bundesgericht gestützt. Wangs Anwälte gelangten darauf mit einer Beschwerde ans Justizdepartement. Rechtshilfe dürfe nur von Staat zu Staat gewährt werden, lautet deren Argumentation. Würde also die Schweiz Taiwan in dieser Frage unterstützen, käme das indirekt einer Anerkennung des Landes als unabhängiger Staat gleich ­ ein Affront sondergleichen gegenüber der Volksrepublik China mit unabsehbaren Folgen. Für China ist Taiwan eine abtrünnige Republik und kein autonomes Land. Wer Taiwan als Staat anerkennt, muss damit rechnen, von den Chinesen sanktioniert zu werden. Chinesische Retorsionsmassnahmen könnten die Schweizer Wirtschaft zurückwerfen im Wettlauf mit anderen Ländern, die in China das grosse Geschäft wittern. Eine Sprecherin des Justizdepartements konnte nicht sagen, wann der zuständige Bundesrat Christoph Blocher seinen Entscheid fällen wird. Bisher musste das zuständige EJPD ein einziges Mal einen vergleichbaren Fall beurteilen. Damals entschied das Departement im Sinne des Bundesgerichts.

Die Luft im Konferenzraum ist stickig, das Gespräch kommt nur langsam in Fahrt. Vieles erinnert an einen Geheimdienstthriller, bei dem nicht klar ist, wo die Gefahr liegt. Auch der Hauptdarsteller scheint seine Rolle nicht zu kennen. So bemüht sich Andrew Wang, dem Treffen den Anschein von Normalität zu geben. «Sie müssen entschuldigen, dass es dieses Hin und Her gab. Wissen Sie, ich habe in diesem Fall noch nie mit jemandem von der Presse gesprochen. Aber jetzt will ich Ihnen zur Verfügung stehen.» Dann sagt er, ganz Gentleman, in höflichstem Englisch: «Wollen Sie nur noch so freundlich sein und Ihr Handy ausschalten?»

Wer ist dieser Mann, der befürchtet, ein Schweizer Journalist könnte ihn mittels Telefonübertragung an seine Häscher verraten? Knapp 20 Jahre alt war Wang, als er vor den vorrückenden Volkschinesen seine Heimat, das südchinesische Festland, fluchtartig Richtung Taiwan verlassen musste, wo sich die unterlegenen Anhänger der Republik China niederliessen. Bald machte sich Wang selbständig, baute das taiwanesische Telefonsystem auf, wurde Generalvertreter von Siemens and Thomson, dem französischen Rüstungskonzern, der später eine wichtige Rolle in seinem Leben spielen würde.

Taiwans Regime profitierte von dem Mann mit den guten Kontakten nach Europa. Denn in jener Gründungszeit waren die Einzigen, die das Land unterstützten, die Amerikaner. Doch im Militärbereich lieferten die Yankees höchstens drittklassiges Material. Um sich gegen den Erzfeind Volksrepublik China verteidigen zu können, wäre modernes Kriegsgerät der Europäer nötig gewesen. Doch diese fürchteten sich vor chinesischen Retorsionsmassnahmen. Es brauchte einen Geschäftsmann wie Andrew Wang, um die Taiwanesen mit den Franzosen ins Geschäft zu bringen.

«Bravo» war der Name des Milliardenvertrags. Dieser regelte die Details für die Lieferung von sechs französischen Lafayette-Fregatten von Thomson an Taiwan. Unterzeichnet wurde er 1991, kurz nach Ende des Kalten Krieges, als die französische Regierung vorübergehend Rüstungsgeschäfte mit Taiwan zuliess. Damals herrschte tiefe Rezession, das Wettrüsten zwischen Ost und West war vorbei, und in der französischen Rüstungsindustrie drohten Tausende von Arbeitsplätzen verloren zu gehen. Kaum war die Tinte unter dem Fregattenvertrag trocken, kehrte Frankreich zur früheren Praxis zurück und verbot weitere Waffenexporte an Taiwan. Priorität hatte wieder die Aussicht auf ungestörtes Geschäften mit China. Wie heikel das Thema ist, weiss Susan Horváth, Chefin der Wirtschaftskammer Schweiz­China. «Am besten ist es, man spricht mit den Chinesen nicht darüber und kümmert sich ausschliesslich ums Geschäft.»

Nach langem Hin und Her waren die Taiwanesen schliesslich bereit, den Franzosen 2,5 Milliarden Dollar für die Fregatten modernster Bauart auf den Tisch zu blättern. Allerdings erhielten sie diese nicht als kampffertige Schlachtrösser zur Abwehr chinesischer Attacken, sondern in Form von Einzelmodulen. Im Baukastensystem mussten die Taiwanesen die Schiffe selbst zusammenbasteln. Nur unter dieser Bedingung waren die Franzosen bereit, kurzfristig beide Augen zuzudrücken.

Für Andrew Wang hatten die Vorgaben ihr Gutes. Eine Lieferung in Einzelmodulen war komplizierter und kam entsprechend teurer zu stehen. Sein Einsatz sollte sich bezahlt machen. Rund ein Fünftel der Auftragssumme, die erwähnten 500 Millionen Dollar, landeten auf Wangs 46 Schweizer Bankkonten. Dort liegt das Geld noch heute, blockiert auf Befehl des eidgenössischen Untersuchungsrichters.

Der Kampf um sein Vermögen ist zum Family-Business geworden. Neben Vater Wang sitzen im Konferenzraum zwei seiner Söhne: rechts der ältere, ein grosser Typ der oberen Gewichtsklasse, mit modischer schwarzer Hornbrille und eleganten Manschettenknöpfen, links der jüngere, der sich weniger trendy kleidet und asketisch wie der Vater wirkt. Manchmal fallen sie ihrem Vater, der ein Leben lang gespart hat und in einem formlosen, grau gesprenkelten Allerweltsanzug dasitzt, auf Chinesisch ins Wort. Er soll nicht zu viel schwatzen, sagen sie ihm wohl. Man spürt: Hier kämpft die zweite Generation um das Vermögen, das die erste mit Schweiss und Bescheidenheit aufgebaut hat.

Im Vertrag «Bravo» steht, dass keine Kommissionen bezahlt werden dürfen. Doch Wang, der immerhin 500 Millionen Dollar für seine Dienste erhalten hat, widerspricht. «Kommissionen sind üblich und legal im Rüstungsbusiness wie auch in anderen Handelsgeschäften. Schliesslich geht es um komplexe Zusammenhänge im Rahmen der Landesverteidigung. Da können Sie nicht einfach zwei, drei Leute anrufen und meinen, jetzt haben Sie einen Deal.»

Die Strategie des Aussitzens hat Wang bisher wenig geholfen. In seiner Heimat ist das Urteil in der Öffentlichkeit längst gefällt. Sein Pech ist, dass der Fregattendeal in Taiwan zum Politikum erster Güte geworden ist. Geholfen hat das vor allem Taiwans Staatsoberhaupt, Präsident Chen. Weil dieser die Bekämpfung der Korruption zu seinem wichtigsten Wahlkampf-thema gemacht hatte, schaffte er vor vier Jahren das Kunststück, die taiwanesische Gründerpartei Kuomintang erstmals von der Macht zu verdrängen. Das grosse Pech des Waffenhändlers Wang ist, dass ausgerechnet der Kauf der sechs französischen Fregatten zum Symbol dieses Kampfes wurde. Aus dem von Chen geschilderten riesigen Korruptionssumpf ragt sein Name als jener des grössten und einflussreichsten Bösewichts heraus. Sollte es Taiwan gelingen, die Franzosen vor einem Schiedsgericht zur Bezahlung einer Busse von bis zu 600 Millionen Dollar zu verknurren, wäre das ein grosser politischer Triumph für Chen. Ganz abgesehen vom stolzen Betrag, den Frankreich zurückerstatten müsste.

Bis jetzt hat Taiwans Präsident vom Schweizer Untersuchungsrichter die angestrebte Unterstützung immer erhalten. Dieser hat zwar keine konkreten Beweise gefunden. Trotzdem spielt Wang in seinen Augen eine zentrale Rolle im Fregattenfall. «Ich darf Ihnen mit Verweis auf die Gefährdung von Ergebnissen nicht mehr sagen, als dass die Ermittlungen gegen Andrew Wang weitergehen», begründet Untersuchungsrichter Paul Perraudin.

«Warum soll ich ein Mörder sein?»

Im «Amsterdam» muss die Temperatur inzwischen auf über 35 Grad gestiegen sein. Das Atmen fällt immer schwerer. Doch im Unterschied zur versammelten Jungmannschaft zeigt der alte Mann keinerlei Anzeichen von Schwäche. Inzwischen scheint er das Gespräch gar zu geniessen, weil es ihm die Chance eröffnet, mit wortreichen Ausführungen auf eine Deblockierung seines Vermögens hinzuwirken. Doch dazu muss er noch die schwerwiegendste Anschuldigung aus der Welt schaffen: den Vorwurf, in den rätselhaften Tod eines taiwanesischen Marinekapitäns verwickelt zu sein. Denn bei Verdacht auf Mord gewähren die Ermittler fast immer Rechtshilfe.

Die Leiche von Kapitän Yin wurde Anfang Dezember 1993 aufgefunden, vermutlich wurde der Offizier Opfer eines Mordes. Sofort schossen die Gerüchte ins Kraut. Schon am Tag nach dem Fund spekulierte die taiwanesische Presse über eine Verwicklung von Andrew Wang in den Fall. Es wurde kolportiert, dass Kapitän Yin die Hintergründe der Fregattenaffäre kannte und bereit war auszusagen. Deshalb habe Wang ihn aus dem Verkehr gezogen.

Die Anschuldigungen zeigten Wirkung. Wang, der zu jener Zeit zu Besuch bei seinen Kindern in den USA war, hat sich bis heute nie mehr zurück in seinen Heimatstaat gewagt. «Als ich realisierte, dass ich bedrängt werde, haben mir Familie und Anwälte geraten, nicht nach Taiwan zurückzukehren», begründet Wang. «Es ist bekannt, dass Verdächtige und Zeugen in diesem Fall in Taiwan gefoltert wurden. In meinem Alter würde ich das keine Woche überleben. Vielleicht ein paar Tage, mehr nicht. Das können Sie nicht mit Europa vergleichen.» Andrew Wangs Stimme vibriert, er sucht nach weiteren Unterlagen in einem Berg von Dokumenten, um seine Unschuld zu beweisen. Dann fährt er fort: «Captain Yin war nie mit der Lafayette-Beschaffung betraut. Er wurde erst 1993 zur Rüstungsbeschaffungsbehörde versetzt, zwei Jahre nachdem der ‚Bravo‘-Vertrag 1991 abgeschlossen worden war. Sein Tod hat nichts mit ‚Bravo‘ zu tun.»

Die Aussagen können nicht verifiziert werden. Der Schweizer Untersuchungsrichter verschanzt sich hinter der Aussage, die Ermittlungen nicht gefährden zu dürfen. Der taiwanesische Staat verknüpft den möglichen Mord mit der Fregattenaffäre, ohne dafür Beweise vorlegen zu können. Und Wang legt ein Dokument nach dem anderen auf den Tisch, um seine Unschuld zu untermauern. Doch was können all die verwirrenden Zahlen, Auslassungen bei der Übersetzung von Anklageschriften aus dem Chinesischen ins Englische und fotokopierten Zeitungsartikel ändern, wenn man gegen die Macht von Behörden antreten muss? Wenn man, wie Wang, überzeugt ist, zum Spielball politischer Interessen geworden ist?

«Die Regierung Chen benützt den Lafayette-Fall, um alle ihre politischen Gegner zu durchleuchten und Einblick in ihre Bankkonti zu gewinnen», versucht Wang sich als politisches Opfer der taiwanesischen Innenpolitik darzustellen. «Die Regierung liess Tausende Bankkonten überprüfen. Die taiwanesischen Behörden sandten auch eine Liste mit den Namen der wichtigsten politischen Gegner Chens zur Kontrolle an den Schweizer Untersuchungsrichter. In der Hoffnung, Auskunft über deren finanzielle Verhältnisse zu erhalten.» Darauf angesprochen, sagt Ermittler Perraudin lediglich, dass Fälle wie der von Wang an der Oberfläche anders erscheinen würden, als sie sich nach genauem Studium herausstellten. Aber eben, so Perraudin, mehr dürfe er leider nicht verraten. Amtsgeheimnis, man müsse verstehen.

Derweil versteht Wang die Welt nicht mehr. «Warum soll ich ein Mörder sein? Oder einen Killer angeheuert haben? Was sollte ich denn davon haben? Ich bin jetzt 76 Jahre alt, besitze ein grosses Vermögen, habe eine glückliche Familie, einen guten Leumund, bin Buddhist, lebe sparsam. Warum sollte ich so ein schreckliches Verbrechen begehen und mir das Leben schwer machen?»

Beim Abschied will Wang die Hand nicht mehr loslassen. Erst jetzt fällt auf, wie klein und zerbrechlich der Mann ist. Ihm schlottern die Hosen um die Beine, seine Jacke fällt viel zu weit nach unten. Andrew Wang scheint auch diese Stimmung instinktiv wahrzunehmen. Im richtigen Moment setzt er zum Schlussplädoyer an. «Ich bin alt, ich bin krank, mir wurde in den letzten Jahren Krebs diagnostiziert und eine Niere entnommen. Da habe ich doch keinen Grund zu lügen. Warum tut mir das die Schweiz an? Sie ist doch ein gerechtes, ein ehrliches Land.»


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