Abgang in die Zelle

Der Schweizer Wirtschaftsanwalt Hans Bodmer schmort in einem südkoreanischen Gefängnis. Ist er ein Opfer des dubiosen «Piraten von Prag»?

Die Beziehung zum «Piraten von Prag» brachte Hans Bodmer kein Glück. Seit fünf Monaten wartet der renommierte Zürcher Wirtschaftsanwalt in einem Gefängnis im südkoreanischen Seoul auf seine Auslieferung an die USA. Bodmer ist das jüngste Opfer des Piraten, der mit bürgerlichem Namen Viktor Kozeny heisst. Der 40-Jährige ist ein berüchtigter Geschäftsmann, der sein Vermögen Anfang der neunziger Jahre machte – in der wilden Privatisierungsphase der Tschechoslowakei.

Für den Coup seines Lebens beanspruchte Kozeny die Dienste eines verschwiegenen Anwalts. Er stiess auf Hans Bodmer, der nach seiner Verhaftung im vergangenen August als Partner der Zürcher Kanzlei von Meiss Blum ausscheiden musste. Von Meiss Blum hatte früher den Ruf, zweifelhafte Aufträge ohne kritische Rückfragen zu akzeptieren, sofern die Einnahmen stimmten. Bei Kozeny ging es um ganz grosse Dimensionen. Unter seiner Führung versuchte ein Konsortium mit potenten Investoren, für 450 Millionen Dollar den grössten staatlichen Erdölkonzern Aserbaidschans zu erwerben. Doch das Vorhaben scheiterte, und seither bekriegen sich die einstigen Partner vor einem New Yorker Gericht.

Lange Zeit schien es, als ob sich Hans Bodmer aus dem Streit heraushalten könnte. Ihm wird von den Investoren vorgeworfen, in Aserbaidschan hohe Beamte bestochen zu haben. Doch als der Deal in Aserbaidschan im Jahr 2000 scheiterte, hatte der 49-jährige Wirtschaftsanwalt das Mandat bereits niedergelegt. Zudem war das Bestechen ausländischer Beamter in der Schweiz damals noch kein Strafdelikt. Selbst als Bodmer im letzten August von den amerikanischen Ermittlern in Zürich als Zeuge befragt wurde, wiegte er sich in Sicherheit. Der Vater von zwei Buben, der einem alten Thurgauer Geschlecht entstammt, war von seiner Unantastbarkeit derart überzeugt, dass er selbstsicher auf das Anwaltsgeheimnis verwies und jede Auskunft verweigerte.

Dünne Matte, Styropor-Kissen

Im Nachhinein war das ein sträflicher Fehler: Zwei Tage nach der Einvernahme durch die US-Beamten reiste Bodmer privat nach Südkorea, wo er auf Antrag des FBI verhaftet und ins «Seoul Detention House» mit seinen 4500 Insassen gesteckt wurde. Auf einer dünnen Matte liegend, als Kissen ein mit Styropor gefüllter Sack, grübelt Häftling Bodmer seither in Zelle Nummer vier darüber nach, was er im aserbaidschanischen Öl-Deal falsch gemacht hatte. Dreimal am Tag wird eine Schale Reis durch die Luke geschoben, und maximal sechzig Minuten lang darf er, der vor der Juristerei Sport studiert hatte, joggen gehen. «Dann zieht er seine Laufrunden, etwa 300 am Stück, grösser ist das Geviert nicht», berichtet Leonz Eder, ein Freund aus der Schweiz, der bei der Verhaftung Bodmers zugegen war und den Anwalt mehrmals besuchte. Den langen Rest des Tages bleibt Bodmer allein mit seinen Gedanken, die sich wahrscheinlich um die Geschichte drehen, die sein Leben mit einem Schlag veränderte.

Wie der Pirat gross ins Geschäft kam

Als Bodmer das verhängnisvolle Mandat annahm, war Viktor Kozeny längst eine grosse Nummer auf dem internationalen Finanzparkett. Den Grundstein für sein 20-Millionen-Dollar-Chalet im US-Wintersportort Aspen, seinen zweistrahligen King-Air-Jet und die Millionen auf der Bank schuf er sich 1990, als in seiner Heimat Tschechoslowakei die grossen Staatsunternehmen privatisiert wurden. Jeder Einwohner konnte so genannte Vouchers kaufen – Bons, die berechtigten, bei den anstehenden Privatisierungen Aktien der öffentlichen Betriebe zu erwerben. Nur waren die Bürger des ehemaligen Ostblocklandes nicht vertraut mit Börsengängen und Aktienbesitz. Weshalb sollten sie einen Wochenlohn aufwerfen für ein Papier, das ihnen in Zukunft einen Anteil einer Firma mit ungewissem Erfolg versprach? Kozeny lockte die Menschen mit dem Angebot, ihre Vouchers seinem Fonds anzuvertrauen. Wollte jemand ein Jahr später wieder aussteigen, würde Kozeny das Zehnfache auszahlen. Doch fast niemand stieg aus, und Kozeny hatte genug Vouchers gesammelt, um grosse Anteile an den privatisierten Unternehmen zu erwerben. Schliesslich gehörten Kozeny rund 15 Prozent der Prager Börse, und sein Fonds war eine Milliarde Dollar wert. Die internationalen Wirtschaftsblätter ernannten den windigen Geschäftsmann zum «Piraten von Prag».

Dank seinem Charme gelang es Kozeny, beste Kontakte in die Spitze der Regierung zu etablieren. Mit dem Innenminister spielte er regelmässig Squash. Dadurch wusste er, wie wertvoll die Staatsunternehmen wirklich waren. Doch allmählich wurde den Politikern die Macht des Geschäftsmanns ungeheuer. Als erste Ermittlungen gegen Kozeny aufgenommen wurden, flüchtete der damals erst 30-jährige Multimillionär auf die Bermudas. Bis heute hat er nie mehr einen Fuss in seine Heimat gesetzt.

Im Frühling 1997 juckte es Kozeny erneut unter den Nägeln. Die grosse Privatisierungswelle hatte inzwischen die Republiken der ehemaligen Sowjetunion erreicht, und der «Pirat von Prag» wollte sein Husarenstück wiederholen. Zu seinem Wirkungsfeld wählte er Aserbaidschan, ein Land im Süden Russlands am Kaspischen Meer, das auf riesigen Erdölreserven sitzt. Den mit Abstand grössten und schnellsten Gewinn versprach die Privatisierung des nationalen Ölgiganten Socar. Kozeny zeigte sich nicht besonders innovativ und setzte auf die bewährte Methode: möglichst viele Vouchers sammeln, um mit ihrer Hilfe in den Besitz von Socar zu gelangen. Doch das allein genügte in Aserbaidschan nicht. Egal, wie viele Gutscheine eine Investorengruppe vorweisen konnte, zuletzt entschied allein die Regierung, wer im Bieterrennen um die staatlichen Firmen obenaus schwingen würde. Sollten also Kozeny und seine Investorenkollegen leer ausgehen, würden die bereits aufgekauften Vouchers zu Altpapier.

Entscheidend waren die guten Beziehungen, und dafür brauchte es in Aserbaidschan das nötige Kleingeld. Gemäss Wirtschaftsmagazin Forbes überwiesen Kozeny und seine Geschäftspartner – ein renommierter Hedge-Fund und ein grosser Versicherungskonzern – insgesamt 450 Millionen Dollar auf ein Schweizer Bankkonto. Im Frühling 1998 schien alles wie am Schnürchen zu laufen. Helfershelfer der Investoren machten jeweils auf ihrem Weg nach Osten einen Boxenstopp in Zürich, stopften sich Millionen von Dollarnoten in die Samsonite-Koffer, um damit aserbaidschanische Vouchers in rauen Mengen aufzukaufen und die Entscheidungsträger bei Laune zu halten. Zu den bestochenen Beamten gehörten anscheinend auch die höchsten Landesfürsten, der letzten Dezember verstorbene Präsident Haidar Alijew ebenso wie sein Sohn und Nachfolger Ilham. Entsprechende Gerüchte wurden von der aserbaidschanischen Regierung selbstverständlich dementiert.

Selbst wenn die Beziehungen bis zuoberst reichten – sie brachten nichts. Die Investorengruppe kam bei der Privatisierung des Erdölriesen Socar nicht zum Handkuss, der Traum von der raschen Vervielfachung des investierten Geldes war im Sommer 2000 geplatzt, und die für viel Geld ramassierten Vouchers verfielen wertlos. Statt auf neuen Reichtum anzustossen, deckten sich die einstigen Geschäftspartner mit Strafanzeigen ein. Der Hedge-Fund und der Versicherungskonzern behaupten heute, Kozeny habe ihnen pro Voucher stolze 25 Dollar abgeknöpft statt dem einen Dollar, den er dafür in Aserbaidschan¡ bezahlt habe. Die Differenz – insgesamt 90 Millionen Dollar – sei in seiner eigenen Tasche gelandet. Kozeny entgegnet, seine aserbaidschanischen Vertrauensmänner hätten ihn hereingelegt. Abgesehen davon wäre allen egal gewesen, von den Aserbaidschanern über den Tisch gezogen worden zu sein, wenn der Privatisierungsdeal geklappt hätte.

Bodmer unter Schock

Dann hätte das Leben Hans Bodmers vermutlich nie diese brutale Wendung genommen. Statt seit Monaten im Staatszuchthaus am südlichen Stadtrand Seouls in einer mickrigen Zelle, ohne Tisch und Stuhl, nur mit einem Kessel für die Notdurft, sässe der Wirtschaftsanwalt heute in seinem Büro in der Zürcher Innenstadt und würde sich um die Angelegenheiten seiner vermögenden Klientel kümmern. So aber wurde der 19. August letzten Jahres zur Zäsur. Bodmer weilte damals für den internationalen Universitäts-Sportverband in Südkorea. Verbandskollege Leonz Eder erinnert sich: «Als juristischer Beirat sass Hans auf dem Podium. Während der Versammlung brachte ihm ein Mitarbeiter des Hotels ‹Interburgo› in Begleitung eines Verbandsangestellten einen Fax. Hans las, stand auf, nahm seine Aktentasche, sagte mir, er müsse auf sein Zimmer, und verliess den Saal ohne ein weiteres Wort. Ich folgte ihm, und wir konnten die Familie und das Büro in Zürich informieren. Eine Stunde später traten fünf koreanische Polizisten in Zivil ins Zimmer, liessen Hans sämtliche Effekten zusammenpacken und führten ihn ab.»

Eder konnte Bodmer in den folgenden Stunden noch zweimal per Mobiltelefon erreichen. Dann brach der Kontakt ab, und der Anwalt verschwand von der Bildfläche. «In den ersten drei Wochen stand mein Mann unter Schock», sagt heute Bodmers Ehefrau Tina. «Er hatte Schwierigkeiten, zusammenhängende Aussagen zu machen, verlor acht Kilo Körpergewicht. Erst nachdem ich ihn das erste Mal besuchen konnte, fing er sich auf.» Tina Bodmer, Freunde der Familie und die Kollegen der Anwaltskanzlei versuchen seither, die Bedingungen für den Inhaftierten zu erleichtern – ohne Erfolg. «Wenn die Reisschüssel endlich bei meinem Mann ankam, war sie häufig schon leer. Die Schweizer Botschaft beantragte bei der Gefängnisleitung westliches Essen, doch dies geriet den Beamten in den falschen Hals. Was nicht gut sei mit ihrem Essen, fragten sie Hans. Wenn es ihm nicht passe, könne er in eine Gemeinschaftszelle umziehen. Inzwischen sitzt er in einer vorderen Zelle, dafür muss jetzt ein anderer hungern.»

Viele von Hans Bodmers Freunden können nicht verstehen, wie Südkorea einzig auf Befehl der USA einen Ausländer monatelang gefangen halten kann. «Mein helvetisches Rechtsempfinden reagiert erstaunt und verletzt», sagt Heinz Keller, Direktor des Bundesamts für Sport in Magglingen und langjähriger Freund des Angeklagten. Und das Aussendepartement (EDA) reiche nicht einmal eine Protestnote ein. Das sei unmöglich, sagt ein EDA-Sprecher. «In laufende Verfahren mischen wir uns nicht ein.» So bleibt Bodmer nur zu hoffen, möglichst bald nach New York überstellt zu werden, um gegen Kaution vorerst auf freien Fuss gesetzt zu werden.


Einen Kommentar schreiben