«Ich will nicht düster wirken»

Vertrauen ist der Kern aller Finanzjobs, sagt Markus Granziol. Schwindet es, geht man besser. Weltwoche, 21. Oktober 2004

Herr Granziol, alle erwarteten, dass Sie der nächste Präsident der Zürich-Versicherung würden. Stattdessen traten Sie vor einigen Monaten kommentarlos ab. Was war passiert?

Bei der Zürich-Versicherung bestimmte während Jahren nur einer: Ex-Präsident Rolf Hüppi. Dessen verfehlter Expansionskurs trieb die Gruppe nahezu in den Konkurs. Nach 2002 hat die neue Führung die Lage stabilisiert. Jetzt aber braucht es eine Strategie für die Zukunft. Diese Aufgabe hat mich gereizt. Doch die Mehrheit des VR wollte mich nicht.

Wollte Konzernchef James Schiro Sie auch nicht?

Ich vermute, dass Schiro keinen aktiven Präsidenten über sich möchte. Die eher lockere Aufsicht von heute gefällt ihm besser, also will er nicht, dass sich daran etwas ändert. Wenn plötzlich ein Präsident ständig im Haus steht und aktiv mitarbeitet, kann der CEO nicht mehr alles allein verfügen.

Was hätten Sie als Präsident unternommen?

Ich hätte einen kleinen, fachkundigen und kompetenten VR vorgeschlagen und selber pro Woche mehrere Tage für die Firma gearbeitet, in Krisensituationen sogar mehr. Und ich hätte sichergestellt, dass der gesamte VR genau, und ich meine wirklich genau, weiss, was in der Firma vorgeht. Alles andere ist schlicht keine «Oberleitung», so wie das Aktiengesetz dies fordert. Wenn man sich nur alle sechs Wochen für ein oder zwei Tage trifft, ist das schwierig.

Sie sollten den heutigen Präsidenten, den Holländer Lodewijk van Wachem, ablösen. Jetzt bleibt dieser ein weiteres Jahr. War er zuletzt Ihr Hauptwidersacher?

Van Wachem teilte meine Vorstellungen nicht. Sein Leitbild ist das deutsche Modell eines Aufsichtsratsvorsitzenden, der das Management aus der Distanz präsidial überwacht, aber keine «Oberleitung» ausübt. Nach deutschem Aktienrecht ist das auch nicht vorgesehen. Er hatte mir nie versprochen, seine Nachfolge antreten zu können, auch wenn er wusste, dass ich das wollte. Als sich Ende 2003 abzeichnete, dass meine Ideen keine Mehrheit finden, beschloss van Wachem, für ein weiteres Jahr Präsident zu bleiben ­ Zeit für mich zu gehen.

Sie glaubten, den VR von innen heraus verändern zu können. Waren Sie naiv?

Wahrscheinlich. Ich habe die Trägheit einer solchen Organisation und ihres obersten Gremiums unterschätzt. Zu meiner Entschuldigung muss ich anfügen, dass ich in einer anderen Welt gross geworden bin. Im Investmentbanking ist man gewohnt, Probleme rigoros anzupacken, Entscheide rasch zu fällen und umzusetzen. Angesichts der Probleme der «Zürich» hatte ich erwartet, dass einige VR-Mitglieder ersetzt würden. Meine Lehre aus der Geschichte: Geh nur in einen Verwaltungsrat, wenn die übrigen Mitglieder gleich ticken.

Das Nachfolgeproblem hat sich mit Ihrem Abgang verschärft. Wie kann es gelöst werden?

Van Wachem sollte nichts mehr mit dieser Frage zu tun haben. Der übrige VR sollte sich durchringen, eine externe, mit dem Versicherungssektor vertraute, starke Führungspersönlichkeit vorzuschlagen. Gefragt ist eine Person, die der Unternehmung für die nächsten zehn Jahre wichtige Impulse geben kann. Ein Blick auf den Aktienkurs der «Zürich» zeigt, dass es dringend neue Impulse braucht.

Mit 52 Jahren sind Sie etwas jung für die Pensionierung. Wollen Sie nicht rasch zurück ins Business?

Ich darf es fast nicht laut sagen, aber mir geht es ohne Dauerstress ausserordentlich gut. Jahrzehntelang hatte ich einen vollen Terminkalender, arbeitete jede Woche bis zu siebzig Stunden. Ich war praktisch immer im Dienst, jedes Gespräch ­ im Ausgang, beim Essen, an Anlässen ­ drehte sich nur ums Geschäft. Man versucht ständig, für die Bank Geld zu verdienen, irgendeinen Deal einzufädeln, ein Problem zu lösen. Jetzt habe ich endlich Zeit für Familie und Hobbys: Ich verwalte mein Vermögen und lese viel, vor allem über Physik. Mal schauen, was sich daraus entwickelt.

Luqman Arnold, der die UBS kurz vor Ihnen verlassen musste, fand bei Abbey rasch einen neuen Spitzenjob. Jetzt managt er die Fusion mit Santander. Fehlen Ihnen die Herausforderungen?

Jeder ist anders. Vielleicht halten Leute wie Luqman, den ich sehr schätze, die plötzliche Freiheit nicht aus, weil sie ausser ihrem Beruf wenig andere Interessen haben. Ich hatte mir nie falsche Vorstellungen über die Zeit nach der Karriere gemacht. Dass ich für all die vermeintlich wichtigen Leute des Investmentbankings völlig unbedeutend würde, sollte ich ausscheiden, war mir früh klar. Selbstverständlich werden Sie nicht mehr zu den Anlässen eingeladen, wenn Sie the power of the office verloren haben; selbstverständlich hören Sie nichts mehr von den Geschäftsfreunden. Aber überraschen darf das einen nicht.

Vor Ihrem Abstecher zur Zürich-Versicherung waren Sie fünfzehn Jahre lang bei der UBS im Investmentbanking tätig, zuletzt in der Konzernleitung. Im Frühling 2002 gingen Sie auch da überraschend von Bord. Warum?

Ich durfte vierzehn tolle Jahre bei der UBS verbringen und dann eines, das mir keinen Spass mehr machte.

Gab es Streit mit UBS-Präsident Marcel Ospel oder Konzernchef Peter Wuffli, räumten Sie das Feld, bevor Ihre Vorgesetzten Sie dazu zwangen?

In der UBS-Führung sassen Personen mit sehr starken Überzeugungen. Diese prallten im Jahr 2001 aufeinander, und da passierten auch unschöne Dinge. Man kann es sich ein wenig wie in einer Partnerschaft vorstellen, die irgendeinmal schief gelaufen ist. Plötzlich ist zu viel Geschirr kaputt, und es lässt sich nicht mehr kitten. Zuletzt ging ich in gutem Einvernehmen und ohne Streit.

Sie sind ein Kenner des Investmentbankings. Die UBS will in diesem Geschäft unter die ersten drei der Welt vorstossen. Eine realistische Ambition?

Investmentbanking besteht aus verschiedenen Geschäften. Es gibt das Beratungs- und Handelsgeschäft für institutionelle Anleger wie Pensionskassen, Hedge-Funds und für sich selbst. Da zählt die UBS zur Weltspitze. Und es gibt das Firmenberatungsgeschäft, das eng verlinkt ist mit dem Kreditgeschäft. Da hat die UBS wenig Chancen gegen die Grössten aus den USA wie Citigroup und JP Morgan Chase.

Warum?

Am Kapital fehlt es nicht, aber am Know-how und am Beziehungsnetz. Die UBS ist keine globale Kommerzbank. Sie ist in der Schweiz gross geworden, hier hat sie ihre Wurzeln und engsten Kundenbeziehungen. Das ist wenig im Vergleich zum Einzugsgebiet der US-Grossbanken. Früher kamen UBS Warburg oder Goldman Sachs, die klassischen Investmenthäuser, neben den grossen Kreditgebern wie Citigroup noch als Berater zum Zug. Heute bietet die Citi ihren weltweit tätigen Kunden alles aus einer Hand an. Das war der Grund, warum John Mack die Credit Suisse First Boston mit einer weltweit tätigen Grossbank fusionieren wollte.

Welche Strategie empfehlen Sie der UBS?

Sie ist die weltgrösste Vermögensverwalterin und ein hochprofitables Handelshaus. Nur: Zwischen den beiden Teilen gibt es wenig Synergien. Vielleicht wären die Einzelteile zusammen sogar mehr wert als das Ganze. Die Frage lautet: Will die UBS weiterhin beides tun? Und wenn ja: Will sie massiv mehr Kredite vergeben, um auch im klassischen Investmentbanking vorzurücken? Das wäre sehr riskant.

Was halten Sie vom Weg, das Private Banking ins benachbarte Ausland zu exportieren?

Die UBS spricht vom Wachstumsgebiet «Onshore-Private-Banking». Daran glaube ich nicht mehr. Europa ist zu fragmentiert, was den Aufbau eines erfolgreichen Private Banking extrem teuer macht. Beide Schweizer Grossbanken versuchen das seit dem Ende der Neunziger, und sie mussten ihre Ambitionen laufend nach unten anpassen.

Dafür ist die Expansion in die USA ein Erfolg.

Ja, aber nur im erwähnten Handelsgeschäft und nicht im Private Banking. Mit der 2000 übernommenen Paine Webber hat die UBS zwar landesweite Präsenz. Doch dies ist ein sehr teurer Broker mit einer beschränkten Produktepalette. Unter dem Strich bleibt für den UBS-Aktionär kaum etwas übrig.

Die UBS schreibt Rekordgewinne, und Sie zeichnen die Zukunft in düsteren Farben. Warum sind Sie so pessimistisch?

Ich will nicht düster wirken. Aber entscheidend ist nicht das Erreichte, sondern das Aufwertungspotenzial der UBS-Aktie. Was ist ihre Strategie für die Zukunft? Ihre zwei Pfeiler ­ die Schweizer Vermögensverwaltung für Privatkunden und das Investmentbanking für institutionelle Kunden respektive der Eigenhandel ­ haben wenig Gemeinsames. Das Onshore-Private-Banking rentiert nicht, eine massive Kreditausweitung zur Stärkung des klassischen Firmenberatungsgeschäftes wäre hochriskant. Sicher, die Credit Suisse steht unter viel grösserem Zeitdruck, so dass die UBS vorderhand ihre Maschinerie ölen, Überkapazitäten und Personal abbauen kann. Aber irgendwann muss sie einen strategischen Schritt machen.

In den neunziger Jahren konsolidierte sich die Finanzindustrie mit nationalen Fusionen. Jetzt übernimmt die spanische Santander die englische Abbey. Kommt eine Welle von länderübergreifenden Bankenfusionen?

Eines ist sicher: Es braucht Masse, um die enormen Kosten auf möglichst viele Kunden zu verteilen. Die Citigroup ist mit Abstand am weitesten. Sie kann ihren Firmen weltweit den vollen Service anbieten, von der Kreditvergabe bis zum Beratungsgeschäft. Und sie zählt auch im Banking mit Einzelkunden zur Spitze. Die englische HSBC und nach der Fusion die neue Santander gehen ebenfalls in diese Richtung. Dagegen sind die Strategien der Deutschen Bank, der UBS und der CS nicht klar. Die Schweizer profitieren vom Bankgeheimnis, doch das ist nicht exportierbar.

Markus Granziol, 52, war als Präsident der Zürich-Versicherung unerwünscht. Bis 2002 war er Chef des UBS-Investmentbanking.

 

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